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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Flüssigkeitsverlust auszugleichen, in der Verteilung von wärmenden Decken sowie in der Vorbeugung gegen Entzündungen und Geschwüren im Enddarm. Letztere Maßnahme war eine Anregung von Stonewell gewesen, weshalb dieser auch von Zeit zu Zeit eine lindernde Salbe an dem heiklen Ort applizieren musste.
    Überhaupt hatte Stonewell sich als äußerst willig und geschickt erwiesen und seiner von Professor Banester ausgestellten Urkunde, die ihm den Titel eines
Cirurgicus Galeonis
bescheinigte, alle Ehre gemacht. Er war, wenn auch schüchtern, von freundlichem Wesen, hatte für seine jungen Jahre bereits recht graues Haar und überdies einen treuherzigen Blick. Auf die Frage, was ihn zur Medizin getrieben habe, hatte er eine ungewöhnliche Antwort gegeben: »Blut, Sir.«
    »Blut?«, hatte Vitus ungläubig nachgefragt. Er war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Stonewell wie alle anderen jungen Männer empfand, die sich zum Arzt berufen fühlten: dass er Kranken und Sterbenden helfen wollte, dass er neugierig war, wie der menschliche Körper funktioniert, lernen wollte, wie Sehnen, Muskeln, Knochen zusammenspielen und dadurch eine Bewegung veranlassen, wie Herz, Lunge, Leber, Niere, Milz sich in ihrer Arbeit aufeinander abstimmen, wie die vier Humoralsäfte im Leib auszusteuern waren, um
Eukrasie
und damit Gleichklang und Gesundheit zu erzielen.
    »Der Anblick von Blut hat mich schon immer gefesselt, Sir. Es ist ja so vielfältig in seinem Vorkommen! Es tritt bei einer Verletzung wie von selbst aus der Wunde, quillt nach einem Stoß aus der Nase, sickert monatlich aus dem Frauenschoß, erscheint als Hämatom nach einem Schlag, schießt aus einer offenen Arterie oder zeigt sich als feingesponnenes Netz wie auf des Captains Wange. Es ist lebendig und pulsierend und manchmal auch träge. Es erstarrt und verschorft und irgendwann fällt es ab und hinterlässt nichts anderes als das, was vor ihm schon da war – ein Stück gesunder Haut.«
    »Ihr habt recht, Stonewell, mit dem Blut hat es eine ganz eigene Bewandtnis. Wir wissen noch viel zu wenig über diesen geheimnisvollen Saft«, hatte Vitus geantwortet.
    »Manchmal, Sir, denke ich, wir wissen gar nichts, und Gott hat uns über so vieles im Unklaren gelassen, damit wir bescheiden bleiben und die Bäume nicht in den Himmel wachsen.«
    »Das kann schon sein.«
    »Warum verfärbt sich das Laub im Herbst? Warum können Fische nicht ertrinken? Warum ist morgens der Himmel rot? Warum ist Eisen schwerer als Holz? Warum bauen Bienen achteckige Waben? Warum weht der Wind unterschiedlich stark? Warum, warum, warum? Ich weiß es nicht. Ich glaube, wir Menschen müssen noch viel lernen, aber wie sollen wir es, wenn wir dauernd neue Kriege anzetteln? Ich bin ein Mann, der den Frieden liebt …«
    Doch nicht nur Stonewell hatte Vitus bei der Behandlung der Schwerverwundeten zur Seite gestanden, auch der Zwerg hatte seine Künste in die Waagschale geworfen: Er hatte bei den Amputationen abermals als Blutstiller fungiert und bei der Beurteilung von Creedys Krankheit Sicherheit vermittelt. Wie Vitus hatte er anno 1578 in den Gewässern der Karibik das berüchtigte Schwarze Erbrechen überlebt und besaß auch sonst umfangreiche Kenntnisse der zahlreichen, aber häufig symptomatisch gleichen Fiebererkrankungen.
    Seitdem war er in regelmäßigen Abständen unter Deck gekommen, um nach dem Zustand der Patienten zu sehen.
    Auch jetzt stand er neben Vitus und sagte: »Wui, wui, Örl, hast ja ganz rote Spählinge, hast zu viel trafackt, musst mal lullen, auch wenn’s erst kurz vor Mittentach is.«
    »Wie stellst du dir das vor, Zwerg? Es ist bald wieder Zeit, die Verbände zu erneuern.«
    »Blausinn, die kann dein Stonewell-Schammes drechseln. Stelz ruhich zu deiner Metze, kraute ruhich zu Korbe, musst ja nich gleich von mir ’nen kronig Jamm bestellen.«
    »Nanu, warum soll ich nicht von dir grüßen? Ich denke, ihr zwei seid wieder ein Herz und eine Seele?«
    »Pah, nimm’s mir nich kreuz, aber ’s is nich so. War bei mir, das Pupperl, un hat was von Lenzerei gebrabbelt un von ewiger Tritratreue, hat süß geschmeicht un schöngetan un rumkanöffelt …«
    »Aber warum sollte sie rumgeheuchelt haben? So viel ich weiß, wollte sie dir nur ein Lob für deine gelungene Suppe aussprechen?« Vitus wurde langsam ärgerlich. Der Zwerg war wirklich zu bösgläubig.
    »Meine Brüh ging ihr am Toches vorbei, hab’s genau gespäht. Hab ›Metze!‹ zu ihr gesacht und ›Marschi ma

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