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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sondern auch zu einem kenntnisreichen Arzt und Kräuterheilkundigen ausgebildet worden. Danach hatte es ihn als Wanderchirurg hinaus in die Welt gezogen, denn er kannte seine Herkunft nicht. Nach vielen Schicksalsschlägen und Abenteuern stellte sich heraus, dass er der einzige überlebende Spross derer von Collincourt war, und Elizabeth I., die Jungfräuliche Königin, hatte ihn höchstpersönlich zum Earl of Worthing gemacht. Taggart erinnerte sich noch genau an das große Fest, das anlässlich der Hochzeit des frisch ernannten Earls mit der schönen Nina stattgefunden hatte, es war vor sechs Jahren auf Schloss Greenvale Castle gewesen, und seine Knie hatten beim
Jig
und bei der
Gaillarde
noch anstandslos mitgemacht …
    Dieser Gedanke brachte ihn zurück in die Gegenwart. Dunc stand noch immer in tadelloser Haltung vor ihm. Seit Jahren trug er nun die Golddublone seines Kommandanten im Schädel, und seit Jahren ließ dieser es sich nicht nehmen, ihn nach dem Zustand seiner Münze zu fragen. »Nun, Dunc, wie geht es meinem Gold?«
    Dunc grinste. »Weiß nicht, Sir, habe zu viel im Kopf.«
    Taggart lachte. Der Dialog war ein altes Wortspiel zwischen ihnen. »Willst du ein Biskuit meiner Frau?«
    »Lieber nicht, Sir, letztes Mal hat’s mich ’nen halben Zahn gekostet.« Auch das gehörte zum Wortspiel.
    Taggart wurde ernst. »Wie ist die Stimmung in der Mannschaft?«
    »So weit gut, Sir, aber die Männer fragen sich, ob Drake, äh, ich meine der Oberbefehlshaber, uns an den Prisen beteiligen wird.«
    »Das wird er, Dunc, mein Wort darauf. Ich werde … Bei allen Schirmquallen, was ist denn nun schon wieder?« Draußen hatte es kräftig geklopft. Kräftiger, als Taggart es schätzte. »Herein, zum Teufel!«
    »Ich bitte, die Störung zu entschuldigen, Sir.« Pigett grüßte. »Das letzte Schiff des Geschwaders, die
Lion,
ist gerade vorbei.«
    »Ja, und? Mister Fox hat Befehl, danach einzuscheren, warum kommt Ihr noch einmal extra zu mir?«
    Pigett gab sich Mühe, kein beleidigtes Gesicht zu ziehen. »Es treibt ein Boot im Kielwasser der
Lion.
«
    »Ein Boot? Was für ein Boot? Ein Beiboot?«
    »Nein, Sir, es ist kleiner, es ist eher eines, wie es zum Übersetzen von Personen Verwendung findet.«
    »Aha. Meinetwegen. Dann hat es mit der Flotte nichts zu tun. Lasst es dahin treiben, wo der Pfeffer wächst.«
    »Sicher, Sir, in dem Boot scheint allerdings eine Frau zu sitzen.«
    »Was! Warum, zum Teufel, sagt Ihr das nicht …« Taggart unterbrach sich. Es tat der Disziplin nicht gut, einen Vorgesetzten im Beisein eines Untergebenen anzuschnauzen. »Äh, Dunc, du kannst jetzt gehen, hau dich ein wenig hin.«
    »Aye, aye, Sir.« Dunc verschwand grinsend.
    »So, Mister Pigett, was ist mit der Frau? Lasst Euch nicht jede Einzelheit wie einen Wurm aus der Furche ziehen!«
    »Äh, nichts, Sir. Sie scheint etwas Besseres zu sein. Jedenfalls trägt sie ein teures Kleid, oder das, was davon übrig ist.«
    »Was sagt John Fox dazu?«
    »Der hat Freiwache, Sir.«
    »Bei allen Sargasso-Aalen!« Taggart erhob sich mühsam. »Muss man denn alles selber machen? Geht schon mal vor, Pigett.«
    Als Pigett ihm den Rücken gekehrt hatte, biss Taggart die Zähne zusammen und machte mit vorgestreckten Händen ein paar Kniebeugen, wobei ihm vor Schmerz der Schweiß auf die Stirn trat. Dann fühlte er eine gewisse Gängigkeit in den Gelenken und stakste hinaus auf sein Kommandantendeck.
    »Dort, Sir.« Pigett wies auf eine kleine Schaluppe, die Steuerbord voraus trieb.
    »Hm.« Taggart konnte in der Morgendämmerung nicht viel ausmachen. Immerhin erkannte er in dem Boot einen Menschen, und er sah auch, dass der Kopf dieses Menschen kraftlos nach vorn hing. Der Unbekannte – oder wenn man Pigetts Worten Glauben schenkte, die Unbekannte – schien ohnmächtig zu sein, vielleicht auch tot. Sollte die Person tot sein, überlegte Taggart, musste man keinen weiteren Gedanken an sie verschwenden, sie würde mit der Ebbe hinaus aufs Meer treiben und irgendwann ein Fressen für die Haie werden. Sollte sie noch leben, sah die Sache allerdings anders aus. Ihr nicht zu helfen, hieße, sie zum Tode zu verurteilen. Niemand, auch nicht der nimmermüde Acuña, würde vorbeikommen, um sie zu retten. Das wollte Taggart nicht auf sein Gewissen nehmen.
    »Tja, hm«, sagte er, »fischt diese Person auf, flößt ihr eine Suppe ein, lasst sie schlafen, und wenn sie wieder bei sich ist, will ich sie in meiner Kajüte sehen.«
    »Aye, aye,

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