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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Pigett war um einen verbindlichen Ton bemüht. »Es ist nur so, dass viele meiner Männer krank sind.«
    »Wenn sie krank sind, stellt sich die Frage, ob eine Quarantäne über das Schiff verhängt werden muss.«
    »Nein, nein, es ist nichts Schlimmes, es sind nur die Auswirkungen des Scharbocks von der letzten Reise.«
    »Scharbock?« Walker war Landratte und kannte sich mit maritimen Ausdrücken wenig aus.
    »Man nennt die Krankheit auch Skorbut. Jedenfalls fehlen mir Männer, um gleichzeitig mehrere Wachen laufen zu lassen.«
    »Aber Ihr solltet Wachtposten an Deck haben, Sir«, beharrte Walker.
    »Ihr habt ja recht, Unteroffizier, aber was soll ich machen? Deshalb stehe ich ja hier und habe sogar ein Auge auf die Laufbrücke hinüber zum Kai. Seid versichert, hier kommt selbst das kleinste Mäuslein nicht an Bord.«
    »Nun gut, Sir, ich hoffe, Euren Männern geht es bald besser, sonst müsste ich Meldung machen.« Walker grüßte wichtigtuerisch und ging mit seinen Soldaten weiter.
    Pigett sah ihm nach und zog eine Grimasse. Dann fing er an zu kichern und dachte: Wenn du Arschloch wüsstest, wie häufig kleine Mäuslein hier an Bord gewesen sind, würdest du mächtig dicke Backen machen. Allerdings sollte ich in Zukunft etwas vorsichtiger sein und der Form halber einen Mann aufs Vorschiff und einen aufs Achterschiff stellen. Wer hätte auch ahnen können, dass du mit deinem Diensteifer plötzlich daherkommst, da doch bisher alles immer in bester Butter war: Die anderen Unteroffiziere haben ab und zu ein kleines Geschenk erhalten und waren dafür stets zum rechten Zeitpunkt blind. Nun, auch du kannst es noch werden. Wir werden sehen. Alles ist letztlich eine Frage des Preises.
    Pigett überzeugte sich, dass Walker außer Sichtweite war, grub die Hände in die Taschen und begab sich unter Deck. Natürlich lief hier keine Wache; die wenigen Matrosen, die sich blicken ließen, schliefen auf den nackten Planken, saßen trinkend beim Würfeln oder spielten mit Hingabe
primero,
ein weit verbreitetes Kartenspiel aus Spanien. Von den ehemaligen
Falcons
war kaum einer übrig geblieben. John Fox, Tipperton, Scott, Dilling, Dunc, Ted, und wie sie alle hießen, waren fort, nicht zuletzt, weil auch der bärbeißige Kommandant, Sir Hippolyte Taggart, von Bord gegangen war.
    Nach dem Überfall auf Cádiz und der Rückkehr nach Portsmouth hatte er John Fox die Verantwortung für sein Schiff übertragen und war nach London zu Professor John Banester, einem Leibarzt der Königin, gereist, weil der Schmerz in seinen Knien ihn umzubringen drohte. Banester hatte ihn nach Strich und Faden ausgefragt, von oben bis unten abgeklopft und anschließend viel Bewegung, am besten lange Spaziergänge in Wald und Flur, verordnet. Dazu eine gesunde Ernährung, wenig Wein und morgens und abends eine heiße Schlammpackung um die wunden Gelenke. Taggart hatte geknurrt und gehadert, sich dann aber in sein Schicksal gefügt und war nach Hause zu Maggy auf die schöne Isle of Wight gefahren.
    Die Therapie und die Dauer derselben – mindestens zwölf Monate – hatte er John Fox in einem Brief mitgeteilt. Nur war dieser Brief niemals angekommen. Dafür hatte Pigett gesorgt.
    John Fox wiederum hatte von höchster Stelle eine Order erhalten, die ebenso überraschend wie erfreulich war: Der Lordadmiral Howard persönlich hatte ihm zu einem eigenen Schiff verholfen, indem er ihm die
Exeter
gab, einen mit sechs Kanonen bestückten Fünfzigtonner. Selbstverständlich hatte John Fox das Taggart in einem Schreiben mitgeteilt, und ebenso selbstverständlich hatte Pigett auch diesen Brief unterschlagen.
    Seitdem war Pigett Herr der
Falcon.
    Und seitdem konnte jeder an Bord tun und lassen, was er wollte, vorausgesetzt, er zahlte dafür. Wenn ein Matrose Landgang haben wollte, hielt Pigett die Hand auf. Wenn ein Matrose Schnaps haben wollte, hielt Pigett die Hand auf. Wenn ein Matrose ein Liebchen haben wollte, hielt Pigett die Hand auf. Es gab noch vieles mehr, für das Pigett zur Kasse bat, am einträglichsten aber war es, wenn er den Männern dazu verhalf, sich Huren an Bord zu halten, so wie es in den großen Häfen Englands immer wieder vorkam. Sofern die Zeiten es erlaubten.
    Aber die Zeiten erlaubten es nicht. Jedenfalls nicht ohne hohes Risiko – die Begegnung mit diesem Walker war der beste Beweis dafür.
    Deshalb hatte Pigett vor einiger Zeit beschlossen, dass auf der
Falcon
nur noch eine einzige Frau »zur Verfügung stehen sollte« und dass diese

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