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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Bruder.«
    »Aye, aye, Bruder«, gab Abbot ebenso leise zurück und eilte grinsend davon.
    Alsbald setzte das ohrenbetäubende Donnern der Kanonen ein, das dumpfe der großkalibrigen spanischen Geschütze und das hellere der englischen Culverines. Den Vorteil der englischen Feldschlangen, die auf beweglichen vierrädrigen Lafetten ruhten und nicht zuletzt deshalb eine schnellere Schussfolge ermöglichten, glichen die Spanier durch ihre Überzahl aus. Trotz der Treffer, die Abbot und seine Männer erzielten, näherten sie sich mehr und mehr. Da die
Camborne
eingekreist war, konnte sie immer schwerer Abstand halten, obwohl mittlerweile ihre acht Drehbassen in den Kampf eingegriffen hatten und Feuer und Eisen aus allen Mündungen spien. Auch die Musketenschützen der
Camborne
hielten sich tapfer, denn ihre Vorderlader hatten die größere Reichweite und die stärkere Durchschlagskraft.
    Nach einiger Zeit wurden die Kanonenschüsse der Spanier seltener, und auch die
Camborne
feuerte weniger, was auf beiden Seiten denselben Grund hatte: der Mangel an Munition. Doch umso heftiger war hüben und drüben das Bemühen der Scharfschützen, dem Gegner Verluste beizubringen. An die zehn Mann auf der
Camborne
waren schon getroffen, und das Geknatter der Arkebusen hörte noch immer nicht auf. »Mister Abbot!«, brüllte McQuarrie, »Hartruder, alles, was Hände hat, an die Brassen! Wir müssen durchbrechen, sonst haben die Dons uns am Kragen! Auf Biegen oder Brechen!«
    Die
Camborne
legte sich bedrohlich auf die Seite, als sie durch den Wind ging, kam wieder hoch und gewann auf dem neuen Kurs langsam Fahrt. Der Kanonendonner war auf beiden Seiten verstummt, die rußschweren Pulverwolken wurden vom Wind schnell zerstreut. Die Schlechtwetterfront hatte Freund und Feind endgültig in ihre Fänge genommen. Selbst der üppigste Vorrat an Munition hätte keinem der Kontrahenten mehr genützt; die See ging einfach zu hoch und machte ein weiteres Gefecht unmöglich.
    Nur die Arkebusiere der Spanier gaben noch keine Ruhe, während die
Camborne
ihr halsbrecherisches Manöver beendete und der Einkreisung mit viel Glück entrann. Ein paar Kugeln pfiffen noch über ihre Decks, und Vitus sah, wie Chock in der Nähe des Kreuzmasts getroffen wurde, gleichzeitig nahm er einen von hinten heraneilenden Schatten wahr, hörte einen weiteren Schuss und kurz danach ein Aufstöhnen. Er drehte sich um und erkannte zu seinem Entsetzen Isabella. Auch McQuarrie und Don Pedro starrten die Spanierin an, die in rubinroter Abendrobe und makellos geschminkt erschienen war. Nur ihr Blick passte nicht zu ihrer vollendeten Staffage; er war starr und ausdruckslos, während sie kraftlos auf die Knie fiel, für den Bruchteil eines Augenblicks in dieser Position verharrte und dann mit dem Oberkörper auf die Planken schlug. Ihre Perücke löste sich und flog im Sturmwind davon.
    Vitus sprang hinzu und drehte Isabellas Kopf zu sich, um sie anzusprechen, aber er sah, dass sie bewusstlos war. Ihre Augen waren halb geschlossen, ihre Lider zitterten wie die Flügel eines Schmetterlings. Eine Kugel hatte ihr Gesicht durchschlagen. Das Geschoss war rechts oberhalb des Auges in die Schläfe gedrungen und links unterhalb des Jochbeins ausgetreten.
    »Isabella, hörst du mich?« Er rüttelte sie. »Isabella, kannst du mich hören?«
    Sie reagierte nicht.
    Fassungslos hob er sie hoch und trug sie mit Mühe über das schwankende Deck in ihre Kammer.
     
     
     
    Nella tat der Po weh. Noch nie hatte sie so lange im Sattel gesessen. Aber es musste sein, denn vor ihr waren noch immer der Schomser und Tante Nina, die sich offenbar lebhaft unterhielten. Hoffentlich waren sie bald da!
    Nella ritt wieder ein Stück näher an sie heran, denn der Weg führte beide in diesem Augenblick um einen Felsen herum, wodurch sie aus dem Blickfeld verschwanden. Dafür erschien ein alter, buckliger Mann hinter dem Felsen, der einen Beutel in der Hand trug. Als er heran war, sprach er Nella krächzend an: »Na, mein Kind, wohin des Wegs?«
    Eigentlich wollte Nella ihm nicht antworten, denn er hatte sie »Kind« genannt und außerdem hatte sie keine Zeit, aber sie mochte nicht unhöflich sein, und deshalb sagte sie: »Ich will an die Küste.«
    »Was …?«
    »Ich will an die Küste!«
    Der Alte lachte meckernd. »Da wollen wohl alle heute hin! Der Herr eben auch, dabei hab ich ihm doch neulich schon den Weg zu
Mary’s Stool
gezeigt.«
    Weil Nella nichts Falsches sagen wollte, schwieg sie dazu

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