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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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spurlos verschwunden. Das Leben der Männer bestand nur noch aus dem Willen, zu überleben – ein schier endloser Kampf zwischen Wache gehen, Segel setzen, Segel reffen, Tauwerk kappen, Pumpen bedienen, Schäden reparieren. Nach vier Stunden und einem Essen, das wegen der gelöschten Feuerstelle nur aus Hartbrot und Wasser bestand, fielen die Männer völlig erschöpft in einen todesähnlichen Schlaf, rafften sich nach weiteren vier Stunden wieder auf und warfen sich erneut dem Orkan entgegen.
    Die
Camborne
war ein junges, starkes Schiff, doch wie mochte es den zahlreichen schwer zusammengeschossenen spanischen Galeonen ergehen?
    Nach sechs Tagen, an einem Sonntag, machte der Wettergott in seinem Zorn eine kurze Pause, lichtblaue Flecken erschienen am Himmel, Wind und Dünung nahmen ab. Sofort nutzte Vitus die Gelegenheit und ließ sämtliche Kranken, die transportfähig waren, aufs Hauptdeck tragen, damit sie sich dort wärmen und die heilenden Strahlen der Sonne genießen konnten. Ferner ließ er sämtliche Luken und Türen öffnen, damit Klammheit, Schimmel und Feuchte, die Hauptverursacher von Hautkrankheiten, durch die frische Seeluft vertrieben wurden.
    Und doch hatte dieser Tag nicht nur Sonnenseiten: Sieben Tote, darunter Isabella und Abbot, galt es zu bestatten. Vitus hatte während des Orkans angeordnet, die Leichen im großen Beiboot auf dem Hauptdeck unterzubringen, wo sie kühl und fest verzurrt unter einer spritzwasserdichten Plane lagen.
    Bevor die Feier, in deren Rahmen die Verstorbenen dem Meer übergeben werden sollten, ihren Anfang nahm, ging er zu dem Beiboot und schlug die Plane zurück. Isabella lag auf der Seite, das Gesicht unter dem Verband kaum sichtbar. Er war dankbar dafür, denn es machte ihm das, was er tun musste, leichter: »Isabella«, sagte er leise, »ich habe in den vergangenen Tagen viel über uns nachgedacht. Du warst eine einzigartige Frau, faszinierend und – unwiderstehlich. Ich war dir verfallen, aber du hast dich für mich aufgeopfert und mir dadurch die Entscheidung abgenommen, zu der ich sonst nicht in der Lage gewesen wäre. Mit deinem Tod gibst du mir Nina zurück, meine sanfte, schöne, strenge Nina. Ich denke, Gott wollte es so. Er sei dafür gelobt und gepriesen.«
    Er schlug das Kreuz und murmelte: »Ich habe da noch etwas, das ich dir für deine letzte Reise mitgeben wollte.« Unter seinem Wams zog er die Zeichnung mit Odders und Isabellas Kopf hervor, rollte sie ein und schob sie in den Ärmel ihrer rubinroten Abendrobe.
    Dann verharrte er einen Augenblick und fuhr fort: »Bitte verstehe, dass es sein muss.« Er ergriff ihre kalte Hand und nahm ihr Ninas Ring ab.
    »Bitte, verstehe«, sagte er noch einmal. »Gott gebe deiner Seele Frieden.«
     
     
     
    Die Trauerfeier war kurz und eindrucksvoll. Jede Leiche wurde in Leinen eingenäht, mit einer Kanonenkugel beschwert und mittels einer Rutsche dem Meer übergeben. Die Toten glitten unter der englischen Flagge in ihr nasses Grab, wobei McQuarrie einige Bibelverse zitierte und mit der Mannschaft gemeinsam betete:
    »Our Father who are in heaven,
    hallowed be Thy name,
    Thy kingdom come,
    Thy will be done on earth, as it is in heaven.
    Give us this day our daily bread,
    and forgive us our trespasses …«
    Isabella glitt als Einzige unter einer spanischen Flagge ins Meer, und Don Pedro, der von Vitus darum gebeten worden war, sprach das spanische Vaterunser dazu:
    »Padre Nuestro que estás en los cielos
    santificado sea tu nombre
    venga a nosotros tu reino …«
    Danach setzte schnell der Schiffsalltag wieder ein, denn das Leben ging weiter, und vieles, was während des Orkans nicht repariert werden konnte, musste wieder instand gesetzt werden. Vitus begab sich auf das Kommandantendeck, wo McQuarrie die Sonne nutzte, um mit Jakobsstab und Astrolabium zu hantieren. »Wo stehen wir, Captain?«, fragte er.
    McQuarrie legte die Instrumente aus der Hand. »Was die westliche Länge angeht, Sir, so lässt sie sich, wie Ihr sicher wisst, noch immer nicht messen, doch von der Breite her müssten wir ungefähr auf Höhe der Conachair-Eilande stehen, wobei ›Eilande‹ fast schon zu viel gesagt ist. Es sind nicht mehr als Fleckchen und Felsen im weiten Meer. Wir werden sie entweder an Backbord oder an Steuerbord passieren, aber vielleicht sehen wir sie auch gar nicht.«
    »Ich dachte, wir wären schon viel südlicher, auf Höhe von Irlands Nordspitze«, sagte Vitus.
    »Leider nein, Sir. Der verdammte … oh,

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