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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Holzeimer, in den die Frau ihre Notdurft verrichtete, stand normalerweise in der anderen Ecke, aber man konnte nie wissen. Ganz am Anfang, als die Frau sich noch gegen ihr Schicksal auflehnte, hatte sie den Eimer direkt hinter die Tür gestellt, und Pigett war mitten hineingetreten. Aber das lag lange zurück.
    Pigett stellte die Laterne auf dem Boden ab. »Dreh dich um, damit ich dich sehen kann.«
    Die Frau wandte sich ihm zu. Sie schien ihn erst jetzt zu erkennen, denn sie riss den Mund vor Entsetzen auf, und er konnte die Lücke sehen, wo ihr ein Schneidezahn ausgeschlagen worden war.
    Pigett grinste schmierig, hielt die Zeichnungen Odders ins Licht der Laterne und sagte: »Schau mal, was ich hier Schönes habe.«

[home]
    Der Lordadmiral Howard
    »Diese Aufgabe zu bewältigen ist eine Herausforderung ohne Beispiel. Ich will nicht dramatisch werden, Sir, aber das Wohl und Wehe von über drei Millionen Engländern kann davon abhängen, das Schicksal eines ganzen Volkes!«
    D as trübe Aprilwetter hielt bis zum Ende des Monats an und erstreckte sich sogar in den Mai hinein. Über ganz Südengland hingen dichte Wolken, die nur selten von einer schwachen, messingfarbenen Sonne durchdrungen wurden. Auch in London war der Himmel bedeckt, nur dass hier zu allem Übel noch der Nebel kam, der zäh und milchig von der Themse heraufzog.
    In Barn Elms, dem Wohnsitz von Sir Francis Walsingham, waren deshalb im Arbeitszimmer Kerzen entzündet worden. Sie beleuchteten einen Tisch aus poliertem Rosenholz, auf dem zwei Schiffsmodelle standen. Eines stellte die spanische
Nuestra Señora de la Concepción
dar, die wegen ihrer schweren Bestückung
Cacafuego,
»Feuerscheißer«, genannt wurde, das andere zeigte die
Elizabeth Bonaventure,
die daneben fast filigran wirkte.
    »Der Unterschied könnte größer nicht sein«, sagte Walsingham nachdenklich. »Ich habe die Modelle aufstellen lassen, damit sie mich stets daran erinnern, mit welch mächtigem Feind wir es zu tun haben.«
    »Mächtig ist er, in der Tat«, pflichtete ihm sein Gast, Lordadmiral Howard, bei. »Das ist es ja gerade, was mir und meinem Stab seit geraumer Weile Kopfzerbrechen macht.«
    Walsingham lächelte flüchtig. »Vergesst Eure Sorgen für einen Moment, und trinkt mit mir auf das Wohl der Königin, unserer Jungfräulichen Gloriana. Sie möge lange leben!«
    »Und das bei bester Gesundheit«, ergänzte Howard.
    Beide Herren erhoben sich.
»Cheers!«
    Sie tranken und setzten sich wieder.
    Howard, ein zweiundfünfzigjähriger Mann, dessen Gesicht durch ernste Augen und eine lange Nase auffiel, stellte sein Glas neben der
Cacafuego
ab und räusperte sich. »Die Dons sind uns in nahezu allen Belangen überlegen, sie haben mehr Schiffe, sie haben größere Schiffe, sie haben mehr Kanonen und Zehntausende hervorragend gedrillter Soldaten, die nur darauf warten, unseren Küstenmilizen die Köpfe abzuschlagen und nach London zu marschieren.«
    »So weit ist es noch nicht.« Walsingham stellte sein Glas neben der
Elizabeth Bonaventure
ab.
    »Ihr habt ja recht.« Howard trank einen weiteren Schluck. »Wenn wir nicht die wendigeren Galeonen und die weitertragenden Feldschlangen hätten, würde ich unserer Sache kaum eine Chance einräumen.«
    »Aber wir haben sie, dank Matthew Baker, unserem genialen Schiffskonstrukteur, und dank unserer erfindungsreichen englischen Geschützgießer. Hier liegt, denke ich, der Vorteil auf unserer Seite.«
    »Sicher, sicher.« Howard wirkte leicht pikiert. »Aber wir haben mehrheitlich nur Sechs-, Neun- oder Achtzehnpfünder an Bord unserer Schiffe, während die Spanier Vierundzwanzig- und Sechsunddreißigpfünder in die Schlacht führen können.«
    »Worauf wollt Ihr hinaus?« Walsingham, der nicht nur Staatssekretär Ihrer Majestät war, sondern auch Gründer des englischen Geheimdienstes, hatte ein feines Gespür dafür, wenn jemand mit etwas hinter dem Berg hielt.
    »Kugeln!«, stieß Howard hervor.
    »Kugeln? Was meint Ihr damit?«
    »Wir haben zu wenige davon. Was nützen die schönsten weittragenden Culverines, die uns die Spanier vom Leibe halten sollen, wenn uns die Kugeln fehlen.«
    »Habt Ihr über dieses Problem schon mit der Königin gesprochen?«
    Howard machte eine resignierte Bewegung. »Das habe ich. Und natürlich hat sie mir freundlich zugehört. Aber eine Zusage hat sie mir nicht gemacht. Deshalb dachte ich, vielleicht könntet Ihr …«
    »Ach so.« Daher also wehte der Wind. Für Walsingham war klar, warum die Königin

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