Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
speziellen Stuhl für Kranke, denen ein Blasenstein herausoperiert werden musste oder denen ein Starstich zu besserem Sehen verhelfen sollte.
    Ein feststehender Beistelltisch rundete die Möblierung ab. Er bot genügend Fläche für alle zur Durchführung einer Operation notwendigen Instrumente.
    In die Bordwand waren einige Regale und Schränke eingelassen. Sie dienten als Aufbewahrungsort für medizinische Bestecke, Verbandmaterial, liquide Arzneien wie Essenzen und Tonika, Salben, Pasten, Gallerte sowie Bücher. Vitus verstaute alles, was er besaß, auch seine Literatur, wobei er für das Werk
De morbis
einen gesonderten Platz vorsah.
    Über dem Operationstisch hingen sieben Laternen in einer Reihe an ihren Haken. Vitus untersuchte sie im Licht seiner mitgeführten Lampe und stellte fest, dass die Laternen allesamt keinen Brennstoff mehr hatten und gewartet werden mussten. Ein Fall für McQuarrie und Dorsey.
    Er setzte sich in den Stuhl, und begann im Buch
De morbis
zu blättern – eine Tätigkeit, die ihn von jeher beruhigte und entspannte. Nichts war erquicklicher als das Studium der alten Meisterärzte; man konnte sie immer wieder lesen, denn jedes Mal entdeckte man Neues und Wissenswertes. Nur das schummrige Licht verhinderte einen ungetrübten Lesegenuss. Und die Geräusche.
    Die Geräusche auf einem Schiff unterschieden sich in ihrer Art sehr stark voneinander: Auf den obersten Decks herrschten stets Arbeits- und Windgeräusche vor, doch je weiter man nach unten stieg, desto leiser wurden sie und desto stärker wurden sie übertönt von dem Knarzen der Spanten, dem Ächzen der Verbände, dem Stöhnen der Bodenhölzer – untermalt von dem Scharren und Huschen der Ratten.
    Und ganz unten, im Orlopdeck, hörte man all das am lautesten.
    Doch ein neues Geräusch hatte sich heute zu den gewohnten gesellt: Es war eine Art Fiepen oder Wimmern, vielleicht auch ein Klagen, und es erinnerte Vitus an Welpen in einer Wurfkiste.
    Hunde hier unten im Orlopdeck?
    Das war schwer vorstellbar. Eher konnte es sich um eine Katze handeln. Ja, eine Katze, das mochte sein. Für eine Katze war das Orlopdeck mit seinen vielen versteckten Winkeln ein reichgedeckter Tisch.
    Vitus hoffte, dass sie eine gute Jägerin war.
    Und las weiter.

[home]
    Der Schiffsschreiber Tipperton
    »Ihr müsst wissen, Sir, dass ich seit Jahren auf dem Gut des Captains lebe, ja, ich darf wohl sagen, dass ich fast ein Familienmitglied bin.«
    A m 15 . Mai um die Mittagszeit erschienen zwei Reiter auf dem Ausrüstungskai, staubbedeckt und sichtlich erschöpft. Sie saßen ab, übergaben ihre Pferde einem Hilfsmann und schritten auf die
Falcon
zu. Bei dem einen handelte es sich um Sir Hippolyte Taggart, wie man unschwer an seiner Gesichtsnarbe erkennen konnte, bei dem anderen um Tipperton, seinen ungeliebten Schreiber.
    Wenn jemand die beiden gesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass Taggart viel leichtfüßiger ging als noch vor wenigen Monaten. Aber es beobachtete sie niemand, weil alle
Falcons
wie die Teufel damit beschäftigt waren, ihr Schiff wieder in einen stolzen Falken zu verwandeln.
    So kam es, dass Taggart erst auf der Laufbrücke entdeckt wurde und dass McQuarrie im letzten Augenblick herbeieilte, um auf dem Hauptdeck Meldung zu machen. Er tat dies in strammer Haltung und großer Ausführlichkeit.
    Als er geendet hatte – mehrere Minuten waren vergangen –, blaffte Taggart: »Die Oberwerke waren früher grün-weiß gestrichen, jetzt sind sie schwarz-weiß. Wieso?«
    McQuarrie lächelte entwaffnend. »Wir hatten kein Grün mehr, Sir. Wir haben uns gedacht, weil die Oberwerke der guten alten
Elizabeth Bonaventure
ebenfalls schwarz-weiß sind …«
    »Schon gut. Und was ist mit den Barkhölzern am Rumpf? Sie sehen aus wie die abgewetzten Beine eines Küchenschemels!«
    »Sind in Arbeit, Sir. Wir haben sie erst einmal vorgestrichen, die Ockerfarbe kommt morgen drauf.«
    »Aha, ist auch schwarzbraune Farbe da?«
    »Aye, Sir, ich denke schon.«
    »Dann nehmt die, ich hasse Ocker; Ocker erinnert mich immer an Dünnschiss.« In Taggarts Gesicht deutete sich etwas an, das als Grinsen ausgelegt werden konnte. »Ansonsten recht gute Arbeit, McQuarrie. Freue mich übrigens, Euch an Bord zu sehen, muss später sowieso mit Euch sprechen. Wo ist übrigens der Cirurgicus?«
    »Hier, Sir!« Vitus kam mit großen Schritten über das Deck gelaufen.
    Taggart nahm den Hut ab und beugte das Haupt. »Es ist mir eine Ehre, mit Euch auf Fahrt gehen zu dürfen,

Weitere Kostenlose Bücher