Die Liebe des Wanderchirurgen
Bewohnerin seiner Kammer denken musste, »auch ich muss fort, habe, äh, noch einige Dinge zu erledigen.«
Taggart knurrte nur.
Da er nicht wusste, was ihn erwartete, öffnete Vitus die Tür zu Doktor Halls Kammer sehr behutsam und fragte: »Darf ich hineinkommen?«
Die Antwort blieb aus.
»Nun gut, ich nehme an, du sitzt nicht mehr im Zuber.« Vitus trat ein und sah, dass dies tatsächlich nicht mehr der Fall war. Isabella saß auf ihrer Koje, nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, die Beine hochgezogen und wütende Blicke um sich werfend. Der Grund dafür war offenbar der Zuber. Er lag auf der Seite und sein Inhalt hatte sich über den gesamten Boden der Kammer verteilt. Es bedurfte keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, dass Isabella in dem Zuber gesessen hatte und durch die immer höher gehende See umgeworfen worden war.
Vitus lachte. »Wasser hat keine Balken! Ich hoffe, es ist dir nichts weiter passiert?«
»Culero!«
»Wie bitte, du sagst Arschloch zu mir? Das will ich überhört haben.« Vitus wurde ernst. »Ich verstehe, dass du unten im Schiff Schreckliches durchgemacht haben musst, aber das ist noch lange kein Grund, mich zu beschimpfen. Irgendwer muss dich dort eingesperrt haben. Irgendwer, der dir Böses wollte. Warum? Ich weiß es nicht. Willst du es mir sagen?«
Isabella schwieg.
Vitus sah sie an und bemerkte, dass ihr Kinn zu zittern begann. »Dir ist kalt, du klapperst mit den Zähnen, höchste Zeit, dass du etwas auf den Leib bekommst!« Er ging zu seiner Kiepe und entnahm ihr leinene Leibwäsche, eine einfache Hose aus Blautuch und ein weißes Hemd mit Knöpfen aus Holz. »Das dürfte alles zu groß für dich sein, aber – wie ich schon sagte – was zu lang ist, krempelst du einfach um. Hier, fang.«
Er warf ihr die Kleider zu und stellte mit Befriedigung fest, dass sie auf den Bewegungsreiz prompt reagierte und die Sachen auffing. »Zieh dich an, ich drehe mich derweil um.«
Er wandte ihr den Rücken zu und wartete. Als nichts geschah, wiederholte er: »Zieh die Sachen an, oder ich tue es!«
Endlich hörte er hinter sich ein Rascheln und Nesteln und dann den Ausruf:
»Mierda!«
Noch immer von ihr abgewandt, sagte er: »Ich nehme an, deine Missfallensäußerung bezieht sich auf das Aussehen deiner neuen Kleider. Du solltest nicht undankbar sein. Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.
Más vale pájaro en mano que ciento volando.
«
»Mierda!«
»Du bist ziemlich kratzbürstig.« Vitus drehte sich um – und musste abermals lachen. Seine Besucherin saß auf der Koje und schien in den viel zu großen Kleidern zu ertrinken.
»Idiota!«
Er achtete nicht auf sie und krempelte ihr die Ärmel ein Stück weiter hoch. Sie hatte sich die Fingernägel gereinigt und geschnitten. Er sah es mit Wohlgefallen. »So mag es gehen. Aber was machen wir jetzt mit dir? Hierbleiben kannst du jedenfalls nicht. Ich werde mit dem Captain sprechen, ob für dich noch irgendwo eine Kammer frei ist. Ich muss sowieso mit ihm reden.«
»No, no!«
»Hör mal, Isabella, kannst du noch etwas anderes sagen, außer ›Scheiße‹, ›Arschloch‹, ›Idiot‹ und ›nein‹?«
Isabella schwieg. Demonstrativ schaute sie an Vitus vorbei und aus dem Fenster.
»Das wird mir jetzt zu dumm.« Vitus wandte sich zur Tür. »Ich rede jetzt mit dem Captain, was mit dir geschehen soll.«
»No!«
Isabella wollte aufspringen und ihn aufhalten, aber sie war noch so entkräftet, dass sie der Länge nach auf die Decksplanken schlug.
»Um Gottes willen, ist dir etwas passiert?« Vitus eilte zurück und hob sie auf. »Bist du verletzt? Lass mal sehen. Gottlob, nein. Was ist nur in dich gefahren? Immer, wenn ich zum Captain will, reagierst du völlig überspannt. Das musst du mir erklären.« Er legte sie in die Koje zurück.
Eine Weile verging.
»Ich warte«, sagte Vitus.
Wieder verging eine Weile.
Vitus stand auf und ging zur Tür.
»No, no!«
»Herrgott im Himmel, jetzt ist aber Schluss!« Vitus fiel ein, dass Isabella aller Wahrscheinlichkeit nach Spanierin war, deshalb fuhr er auf Spanisch fort: »Wenn du mir irgendetwas zu sagen hast, sage es jetzt. Es ist deine letzte Chance, sonst gehe ich zum Captain.«
»Du … du sprichst meine Sprache gut«, sagte Isabella stockend.
Endlich hatte sie einen Satz herausgebracht! »Ich bin in Spanien aufgewachsen, ich spreche deine Sprache so gut wie du.« Vitus wollte es dabei belassen, doch weil er noch immer verstimmt war, fügte er
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