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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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hier oben herumliefe wie ein aufgescheuchtes Huhn, bekäme ich nichts mit. Ich muss sehen, was an Bord passiert, sonst könnte ich mich gleich in die Koje legen.«
    »Aye, Sir.«
    »Ich würde zum Beispiel nicht mitkriegen, ob Mahon oder Reffles mit ihren Crews in der Lage sind, das Übungsziel dahinten zu treffen.«
    Vitus schaute in die angegebene Richtung und erkannte ein floßähnliches Gebilde mit aufgeriggtem Mast und Segel. »Das ist aber sehr weit entfernt, Sir!«
    »Fast fünfhundert Yards, Cirurgicus. Mal mehr, mal weniger, je nach Wellen und Wind. Wir schleppen das Ziel an einer Leine mit, damit es nicht abtreibt. Aber die Leine kann jederzeit brechen, weil die Entfernung so groß ist, wie Ihr schon richtig bemerktet.«
    »Aber warum die große Distanz, Sir?«
    Taggart schien zu überlegen, wie er es am besten ausdrücken sollte. Dann sagte er: »Wir müssen den Vorteil unserer langen Culverines nutzen, Cirurgicus. Sie sind ungewöhnlich weittragend, und wenn sie treffen, halten wir uns damit die stärksten Gegner vom Leibe. Stellt Euch vor, uns gelänge das nicht, und es käme zum Enterkampf. Fünfzig oder hundert oder noch mehr der verdammten spanischen Seesoldaten würden sich dann auf unsere Decks ergießen und unsere paar Männer im Handumdrehen abschlachten. Ihr seht also, wir tun gut daran, uns nicht nur auf unsere Schnelligkeit zu verlassen, sondern auch auf unsere weitreichenden, eisernen Grüße.« Taggart schnaufte. Er fand, er hatte schon wieder zu viel geredet.
    »Wann beginnt denn das Probeschießen, Sir?«
    »Es hätte eigentlich schon längst im Gange sein sollen, aber Mahon und Reffles haben mir gesagt, die gefundenen Kugeln wären allesamt verrostet, sie müssten gereinigt und geschliffen und was weiß ich noch alles werden, bevor sie eingesetzt werden können. Fassen wir uns also in Geduld.«
    »Aye, Sir, fassen wir uns in Geduld.«
     
     
     
    Odder hatte sich fest vorgenommen, dass heute der Tag sein sollte, an dem die Frau ihm verriet, wer sie war. Er fand das wichtig, denn immer, wenn er an sie dachte, spürte er, dass ihm ihr Name fehlte. Mit Namen war es seltsam. Er hatte einmal eine Frau gekannt, die Bridget hieß, und Bridget war sehr hässlich gewesen. Fortan hatte er immer, wenn dieser Name fiel, ein unansehnliches Gesicht vor Augen gehabt – bis er eines Tages einer Frau begegnete, die ebenfalls Bridget hieß und berückend hübsch aussah. Da war etwas Komisches passiert, denn von dem Tag an verband er nur angenehme Gedanken mit diesem Namen. Eine Frau konnte also einen Namen schön machen … Ob die Frau im Versteck wohl auch ihren Namen schön machen konnte? Bestimmt konnte sie das.
    Sie musste ihn nur verraten.
    Da niemand besser als Odder wusste, dass Alkohol geschwätzig machte, hatte er gleich zwei Kannen Wein dabei, als er sich auf den Weg zu der Frau machte. Er hatte auch etwas Essbares in der Tasche, aber eigentlich nur der Form halber, denn Nahrung löste die Zunge nicht.
    Als er mit seiner Last in die Tiefen des Schiffs hinuntergekraxelt war, musste er erst einmal verschnaufen, denn er war nicht mehr der Stärkste, und zwei Kannen Wein hatten ihr Gewicht. Er stand vor der Tür und blinzelte im trüben Schein der ebenfalls mitgeführten Laterne. »Is die Tür nu auf oder nich?«, fragte er sich, um dann selbst die Antwort zu finden: »Ich glaub, sie is auf, aber’s kann eigentlich nich sein, hatt sie doch zugesperrt, ja doch, zu war sie, un nu is sie auf.«
    Er schluckte vor Aufregung, und dabei merkte er, dass er nur Speichel im Mund hatte und dass dieser Zustand geändert werden musste. Er trank einen kräftigen Schluck aus einer der Kannen und fühlte sich gleich besser. Auch das Denken fiel ihm leichter. »Wenn die Tür auf is, is die Frau wech«, sagte er. »Abgehauen, verduftet, über alle Berge. Oder die Tür is auf, un die Frau is nich wech, weil se noch da is, weil se auf mich gewartet hat, weil ich ihr’n Bild gemalt hab, dass wir zusammengehörn. Aber wer hat die Tür aufgemacht, das kann die Frau nich gewesen sein, ’s muss von außen passiert sein, am besten, ich frach die Frau mal.«
    Als Odder mit seinen Überlegungen so weit gediehen war, fiel ihm wieder ein, dass er den Namen der Frau nicht kannte. Es wurde wirklich höchste Zeit, ihren Namen zu erfahren, und es würde am besten sein, das Verlies jetzt gleich zu betreten.
    »Achtung, ich komm. Hör mal, das mit der Tür is aber ’ne Sache. Nanu, du bist nich da? Komisch, dein Eimer is doch

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