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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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y Ribera! Aber wenn der Herrgott es will, wird der Tag der Rache kommen. Ich werde eine grausame Rächerin sein. Oh, wie ich diesen Tag herbeisehne!«
    Isabella hatte wieder zu weinen begonnen und unter krampfartigem Schluchzen berichtet, ihre »Besucher« hätten ihr gesagt, es sei nichts Besonderes, Flittchen an Bord zu haben, wenn das Schiff im Hafen läge, überall wäre das so, in London, in Southampton, in Falmouth …
    Vitus war aufgestanden und hatte ihr einen Becher Wein geholt, aber sie hatte nur einen winzigen Schluck getrunken. Dann war ein freudloses Lächeln über ihr Gesicht geglitten, und sie hatte gesagt: »Jetzt weißt du, warum ich alle Engländer hasse, und du weißt auch, warum ich Capitán Taggart nicht unter die Augen treten will. Es wäre mir einfach zu peinlich, vor ihm wie eine Hure dazustehen.«
    »Das leuchtet mir ein«, hatte er nach einiger Überlegung gesagt. »Ich bringe dich jetzt zurück in Doktor Halls Kammer. Wenn uns jemand begegnet, sagst du nichts und tust so, als wärst du ein Matrose. Du brauchst deinen Schlaf – genau wie ich.«
    So war ihr erstes Gespräch verlaufen. Und heute, am 29 . Mai, fühlte Vitus sich wie gerädert. Die vergangenen Nächte, die er allesamt auf dem harten Operationstisch verbracht hatte, gingen ihm mehr und mehr aufs Kreuz. Und das Wetter, das in den letzten Tagen immer schlechter geworden war, tat ein Übriges dazu.
    Da er nicht Isabellas wegen an Bord war, sondern in erster Linie, um Taggarts Knie zu versorgen, erbat er gegen Mittag die Erlaubnis, das Kommandantendeck betreten zu dürfen.
    Taggart stand in seiner typischen Haltung an der Querreling und beobachtete mit salzverkrusteten Augen sein Schiff. Die
Falcon
kämpfte schwer in der brüllenden See, sie stampfte, rollte, schlingerte so stark, dass selbst einige der altgedienten Fahrensleute unter der Seekrankheit litten. Vitus taumelte mehr, als dass er schritt, und landete glücklich an Taggarts Seite. »Was machen Eure Knie, Sir?« Er musste schreien, um sich verständlich zu machen.
    »Taub!«, brüllte Taggart zurück. »Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, sie sind völlig taub. Keinerlei Schmerzgefühl bei der Kälte! Ich wünschte, das Wetter wäre immer so.«
    Vitus war einerseits froh, dass Taggart keine Beschwerden spürte, dachte andererseits aber an Isabella, die unten in Doktor Halls Kammer saß und den Seegang sicher viel mehr zu spüren bekam als er. »Wie ist unsere Position, Sir?«
    »Wenn ich das genau wüsste! Die Sonne lässt sich ja nicht mehr blicken. Als ich vor zwei Tagen die Breite nahm, standen wir querab von La Coruña. Ich schätze, wir befinden uns jetzt südlich von Kap Finisterre.« Taggart rückte seine Regenhaube aus Öltuch zurecht, denn starke Schauer hatten eingesetzt.
    »Und die Armada, Sir?«
    »Gott versenke sie! Wenn wir sie nicht bald sichten, hat sie uns passiert.«
    McQuarrie erschien auf dem Niedergang zum Kommandantendeck. »Der Sturm wird zum Orkan, Sir, wir haben nur noch den Fockmast unter Segeln. Wenn’s noch mehr bläst, müssen wir weiteres Tuch wegnehmen, ich schlage vor, den Mars. Die Lateiner vom Besan sind auch schon runter!«
    »Das ist mir nicht entgangen.« Taggart hob die Hand, um sein Einverständnis zu signalisieren.
    »Ich möchte noch einen Strich westlicher halten, Sir, damit wir nicht plötzlich auf Legerwall liegen. Niemand weiß genau, wie nah wir der Küste sind.«
    »Nur zu!«, brüllte Taggart.
    McQuarrie verschwand und gab die entsprechenden Befehle. Doch kaum hatte er das getan, kehrte er schon wieder zurück. »Sir!«, meldete er atemlos. »Reffles hat bei der Suche nach Kanonenkugeln einen Toten in der Bilge gefunden. Der Mann heißt Odder!«
    »Odder?«, knurrte Taggart. »Ich erinnere mich nur schwach. Wer war das noch mal?«
    »Ein Säufer, Sir«, antwortete Vitus für McQuarrie. »Ein Säufer und Drückeberger. Kein guter Seemann, vielleicht überhaupt kein Seemann. Wenn ich es recht bedenke, könnte er der vermisste dreißigste Mann sein.«
    Taggarts schiefer Mundwinkel zuckte. »Wenn es so ist, muss der Kerl sich tagelang versteckt haben. Und das auf meinem Schiff! Der Bursche war nie ein echter
Falcon,
so viel steht fest.«
    »Aye, Sir, wenn Ihr erlaubt, gehe ich hinunter in die Bilge und untersuche ihn.«
    »Genehmigt.«
    Vitus verließ das Kommandantendeck ohne einen trockenen Faden mehr am Leib und hangelte sich die Niedergänge hinab. Er schätzte sich glücklich, nicht unter der Seekrankheit zu leiden,

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