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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Brandy. Gerry, der Simulant, litt auch heute nicht unter Durchfall – so wie er niemals darunter gelitten hatte.
    Arch, ebenfalls einer der
Falcon-
Veteranen, schnitzte an einem Stück Walrosszahn. Was er herstellen wollte, wusste er noch nicht, vielleicht eine Flöte, um darauf für eine
Lancashire Hornpipe
aufzuspielen.
    Jim und Tom, die beiden Zimmerleute, standen an der Hobelbank in ihrer Werkstatt und glätteten Handläufe für die Niedergänge zum Batteriedeck.
    McQuarrie und Dorsey, die beiden Offiziere, hatten ein Auge auf die immer gleichen Arbeiten an Deck und fragten regelmäßig den Ausguck im Hauptmast, ob er nicht endlich Segel an der Kimm sehe.
    Dunc, der Veteran und beste Steuerer der
Falcon,
stand am Kolderstab, einem kräftigen, durch die Decks nach unten ragenden Stock, mit dessen Hebelwirkung die schwere Ruderpinne am Heck bewegt wurde.
    Der Zwerg kochte Suppe aus »Bauerndegen un Böllerlein« an der Feuerstelle direkt hinter dem Vorschiff, wobei er unanständige Lieder aus dem Askunesischen vor sich hin trällerte und auf die Frage seines Assistenten, wo das denn liege, antwortete: »’s is Deutschland, du Strohputzer!«
    Vitus saß in seinem Behandlungsraum und studierte Schriften des Fabricius Wilhelm Hildanus, in denen dieser einige Verbesserungen für Brust- und Gliederamputationen erläuterte. Auch seine Ausführungen zur Therapie von Frakturen waren sehr lesenswert.
    Isabella Dolores Conchita Maria del Pilar y Ribera, wie sie mit vollem Namen hieß, lag in Doktor Halls Kammer auf ihrer Koje und dachte an Paolo Farnese, den Neffen des Herzogs von Parma, dem sie versprochen war, und der irgendwo in den Spanischen Niederlanden auf sie wartete. Wartete er wirklich auf sie? Wahrscheinlich genauso wenig wie sie auf ihn. Die geplante Heirat war eine reine Zweckehe und hatte mit Gefühlen oder gar Liebe nichts zu tun. Sie hatte ein Medaillon erhalten, das eine Miniaturmalerei auf Elfenbein mit der Abbildung ihres Zukünftigen zeigte. Demnach konnte Paolo Farnese nicht gerade als Adonis bezeichnet werden, und wenn man bedachte, dass Miniaturen in aller Regel schamlos verschönten, stand zu vermuten, dass er ein Ausbund an Hässlichkeit war.
    Der Wundschneider, der sich Vitus von Collincourt nannte und behauptete, ein Earl zu sein – was natürlich völliger Unsinn war –, sah dagegen ungewöhnlich gut aus. Allerdings fehlte es ihm ein wenig an Temperament. Wie alt er wohl war? Dreißig vielleicht? Höchstens. Eigentlich sah er sogar noch jünger aus. Besonders, wenn er lächelte. Ob er wirklich Engländer war? Spanisch jedenfalls sprach er ohne jeden Akzent. Englisch auch? Das ließ sich schlecht sagen. Was hatte er erzählt? Er sei in einem spanischen Kloster aufgewachsen und hätte die
Artes liberales
studiert? Kaum zu glauben, denn das hieße, er habe sich mit Grammatik, Rhetorik, Geometrie, Musik und all diesen Dingen beschäftigt, dabei war er doch nur ein kleiner Wundschneider. Mit seinen medizinischen Künsten konnte es nicht weit her sein, sonst hätte er die Knie des Kapitäns längst kuriert. Und doch, irgendetwas war an ihm.
    Isabella trug nach wie vor Vitus’ Kleider. Es war ein seltsames Gefühl, in diesen billigen Stoffen zu stecken, obwohl sie sauber waren und nicht kratzten. Sogar einen Eigengeruch hatten sie, den Geruch nach ihrem Träger. Sie hielt sich einen Ärmel an die Nase und roch an dem Leinenstoff. Ja, da war er wieder, dieser ganz bestimmte Hauch … nicht unangenehm. Und ausgesprochen männlich.
    Ihr Blick fiel auf die Kiepe, die in der Ecke stand, und sie beschloss, das Behältnis unter die Lupe zu nehmen. Es gehörte sich zwar nicht, in fremder Leute Eigentum zu stöbern, aber erstens war der Wundschneider nicht da, zweitens war er gar nicht mehr so fremd, und drittens machte sie sowieso, was sie wollte.
    Nacheinander nahm sie die Sachen heraus, wobei sie sich die Reihenfolge merkte, um sie später genauso wieder hineinlegen zu können, und stellte dabei fest, dass der Inhalt kaum der Rede wert war. Richtig, den Hauptteil seiner Utensilien hatte der angebliche Earl nach unten in seinen Behandlungsraum gebracht. Aber was war das? Ein Ring? Tatsächlich!
    Isabella hielt den Fingerschmuck ins Licht und erkannte, dass es sich um einen goldenen Wappenring handelte. Das Wappen war kreisförmig, es zeigte ein Schiff mit zwei dreieckigen Segeln und darüber einen fauchenden Löwen, der in seiner Form an den englischen Löwen erinnerte … Isabella dachte nach. Sollte

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