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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Dauerweiner. Auch wir haben viele Männer verloren. Aber wir weinen nicht. Wir sind stolz auf unsere Männer, denn sie waren Menschen wie du und ich. Sie haben geliebt, gelebt, gelitten. Sie hatten Frauen und Kinder. Sie hatten Stärken und Schwächen, und sie hatten alle eine große Liebe: unser Schiff, die stolze
Falcon.
Aus unserer Trauer wird neue Kraft erwachsen. Unsere Männer sind für eine gute und gerechte Sache gestorben. Für Gott den Allmächtigen, für unsere Jungfräuliche Königin, die
Lady of the Seas,
für England, für die Freiheit. Erweisen wir jetzt unseren Männern die letzte Ehre, beten wir für sie. Mützen ab!«
    Taggart faltete die Hände und senkte den Kopf:
    »Ich habe den Herrn allezeit vor Augen, denn Er ist mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben. Darum freuet sich mein Herz, und meine Ehre ist fröhlich, auch mein Fleisch wird sicher liegen, denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen.«
    Taggart blickte auf, denn der Ausschnitt aus dem sechzehnten Psalm war zu Ende. Von sich aus fügte er hinzu: »Wo Schatten ist, ist Licht, wo Tod ist, ist Leben, wo Krieg ist, ist auch Friede. Amen.«
    »Amen!«, antworteten die Männer im Chor.
    Taggart fuhr in seiner Rede fort:
    »Friede sei mit unseren Kameraden, die wir hiermit dem Meer übergeben.«
    Er nahm eine Liste zur Hand und bedeutete McQuarrie, der mit dem Dudelsack neben den aufgebahrten Säcken stand, er möge mit seinem Spiel beginnen. Als die klagenden Töne der
pipes
über das Deck wehten, las er den ersten Namen vor:
    »Jonathan Dorsey, Zweiter Offizier der
Falcon.
«
    Hutch und Jack grüßten und schoben den Leichnam unter die Fahne. Dorseys sterbliche Überreste rutschten langsam über Bord und klatschten in die See.
    »Farewell! Harold Whittaker, Matrose.«
    Die Prozedur wiederholte sich, während McQuarrie unentwegt weiterspielte.
    »Peter Baxter, Matrose.« … »Gordon Dudley« …
    Als der Name des letzten Toten verhallte, war Taggart einigermaßen erschöpft, und er hätte die Zeremonie beenden können, wenn er sich nicht noch etwas ganz Besonderes vorgenommen hätte. Erneut erhob er die Stimme:
    »Männer! Es gibt nicht mehr viele unter euch, die damals mit mir in der Karibik waren, aber die Wenigen, die es noch gibt, werden den anderen bestätigen, dass es die ruhmreichste Zeit der
Falcon
war. Bis vor drei Tagen! Vor drei Tagen habt ihr euch selbst übertroffen, Männer. Um deutlich zu machen, was ihr geleistet habt, will ich euch sagen, mit welch starkem Gegner ihr es zu tun hattet, so, wie es im Schiffsregister nachzulesen steht: Es ist die
San Juan,
ein Dreihundertfünfzigtonner, erheblich größer als wir und gerade erst drei Jahre alt. Mit ihren achtundzwanzig Kanonen, fünfzig Mann Besatzung und nicht weniger als hundertvierzig Soldaten war sie uns in allen Belangen überlegen. Trotzdem habt ihr sie abgewehrt und arg gerupft nach Hause geschickt! Männer, ihr habt eine Schlacht geschlagen, wie sie noch nie geschlagen wurde!«
    »Wir haben sie für Euch geschlagen, Sir!«, rief ein Mann aus dem Karree, und einer oder zwei andere bestätigten: »Für Euch, Sir!«
    Taggart tat, als hätte er nichts gehört, denn selbstverständlich war es eine ungeheure Disziplinlosigkeit, seine Rede zu unterbrechen, auch wenn der Grund erfreulich war. Er wiederholte:
    »Ihr habt eine Schlacht geschlagen, wie sie noch nie geschlagen wurde!«, machte erneut eine Pause und sagte dann: »Deshalb seid ihr alle ab heute wieder …
Falcons!
«
    Ein ohrenbetäubender Jubel setzte ein, die Männer brüllten, tanzten und warfen ihre Mützen in die Luft.
    »Ruhe,
Falcons!
Ich bin noch nicht fertig … Tipperton!«
    Der Schiffsschreiber ließ ausnahmsweise einmal nicht auf sich warten, sondern stolzierte umgehend herbei. Er hielt eine geöffnete Schatulle in der Hand, in der es blinkte und blitzte.
    »Jeder
Falcon
erhält jetzt sein neues Abzeichen, den Falkenkopf aus echtem Silber!«
    Taggarts Gesicht zeigte freudige Erregung – ein Gefühlsausbruch, den Tipperton nicht teilte, da er in der Nacht zuvor sämtliche Anstecknadeln hatte polieren müssen.
    »Erste Reihe vortreten! Ohne Tritt marsch zu mir aufs Kommandantendeck!«
    In loser Folge erklommen die frischgebackenen
Falcons
über den Steuerbordniedergang das höchste Deck, ließen sich von Taggart persönlich das Abzeichen ans Hemd stecken und verließen das Deck wieder über den Backbordniedergang. So ging es Reihe auf Reihe, bis auch der Letzte der Männer die

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