Die Liebe einer Frau
angesehen, wie Meryl Streep im Laster ihres Mannes saß, im Regen, den Türgriff herunterdrückte und sich vor Sehnsucht verzehrte, während ihr Geliebter wegfuhr. Dann hatten sie sich angesehen und festgestellt, dass ihnen beiden die Augen voller Tränen standen, und den Kopf geschüttelt und gelacht.
»Es heißt auch Familienmutter«, sagte Philip in versöhnlicherem Ton. »So nennt Dad sie manchmal.«
»Also«, sagte Eve. »Wenn das deine Frage ist, lautet die Antwort Ja.«
Sie überlegte, ob er Ian für seinen richtigen Vater hielt. Sie hatte Sophie nicht gefragt, was sie ihm gesagt hatten. Sie würde ihm natürlich nichts sagen. Sein richtiger Vater war ein irischer Junge gewesen, der in Nordamerika herumreiste und zu entscheiden versuchte, was er tun sollte, nachdem er nicht mehr Priester werden wollte. Eve hatte ihn für einen von Sophies Freunden gehalten, der ihr nicht besonders nahe stand, und das schien auch Sophies Einstellung gewesen zu sein, bis sie ihn verführte. (»Er war so schüchtern, ich dachte schon, es wird nie was«, sagte sie.) Erst als Eve Philip sah, bekam sie eine klare Vorstellung davon, wie dieser Junge ausgesehen hatte – der helläugige, pedantische, sensible, höhnische, überkritische, errötende, scheue, streitlustige junge Ire. Ganz ähnlich wie Samuel Beckett, sagte sie, bis in die Runzeln hinein. Als das Baby dann größer wurde, verschwanden die Runzeln natürlich.
Sophie studierte zu der Zeit Archäologie. Eve kümmerte sich um Philip, wenn sie Vorlesungen hatte. Eve war Schauspielerin – sie war es immer noch, wenn ihr eine Rolle angeboten wurde. Auch damals schon hatte sie zeitweise nichts zu tun, und wenn sie tagsüber Proben hatte, konnte sie Philip mitnehmen. Mehrere Jahre lang hatten sie in Eves Wohnung in Toronto zusammengelebt – Eve und Sophie und Philip. Es war Eve, die Philip erst in seinem Babywägelchen und dann in seiner Kinderkarre umherfuhr, durch alle Straßen zwischen Queen und College und Spadina und Ossington, und auf diesen Spaziergängen entdeckte sie manchmal genau das richtige, wenn auch ein bisschen heruntergekommene kleine Haus, das in einer ihr bis dahin unbekannten kurzen, baumbestandenen Sackgasse zum Verkauf stand. Sie schickte Sophie hin, es sich ansehen; sie trafen sich beide mit dem Makler, redeten über Hypotheken, besprachen, welche Renovierungen sie bezahlen mussten und was sie selber machen konnten. Sie überlegten hin und her und träumten vor sich hin, bis das Haus an jemand anders verkauft wurde oder bis Eve einen ihrer seltenen, aber heftigen Sparsamkeitsanfälle bekam, oder bis jemand sie überzeugte, dass diese reizvollen kleinen Seitenstraßen für Frauen und Kinder nicht annähernd so sicher waren wie die hellerleuchtete, hässliche, belebte und laute Straße, in der sie wohnen blieben.
Ian war jemand, von dem Eve sogar noch weniger Notiz nahm als vorher von dem irischen Jungen. Er war ein Freund; er kam nie in die Wohnung, außer mit anderen zusammen. Dann nahm er eine Stellung in Kalifornien an – er war Stadtgeograph –, und Sophie brachte es auf eine Telefonrechnung, über die Eve mit ihr reden musste, und insgesamt veränderte sich die Atmosphäre in der Wohnung. (Hätte Eve die Rechnung nicht erwähnen sollen?) Bald wurde ein Besuch geplant, und Sophie nahm Philip mit, denn Eve spielte in der Provinz Sommertheater.
Nicht lange danach traf die Neuigkeit aus Kalifornien ein. Sophie und Ian wollten heiraten.
»Wäre es nicht klüger, erst einmal eine Weile lang zusammenzuleben?«, fragte Eve am Telefon in ihrer Pension, und Sophie sagte: »Auf keinen Fall. Er ist komisch. Er glaubt nicht an so was.«
»Aber ich kann nicht weg für die Hochzeit«, sagte Eve. »Wir spielen bis Mitte September.«
»Das macht nichts«, sagte Sophie. »Es wird keine
Hochzeit
-Hochzeit.«
Und bis zu diesem Sommer hatte Eve sie nicht wieder gesehen. Anfangs fehlte auf beiden Seiten das Geld. Wenn Eve arbeitete, hatte sie feste Kosten, und wenn sie nicht arbeitete, konnte sie sich nichts außer der Reihe leisten. Bald hatte auch Sophie eine Stellung – als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis. Einmal wollte Eve schon einen Flug buchen, da rief Sophie an, um zu sagen, dass Ians Vater gestorben war und dass Ian zur Beerdigung nach England flog und dann seine Mutter mitbrachte.
»Und wir haben nur ein Gästezimmer«, sagte sie.
»Gott behüte«, sagte Eve. »Zwei Schwiegermütter in einem Haus, geschweige denn in einem
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