Die Liebe in Grenzen
Morgen, ich bin Theo Heinemann. Wie ich sehe, seid ihr ohne meine Hilfe klargekommen. Super, mach weiter so! «
Das war alles, was Theo mir zu meiner Arbeitseinführung erzählte. Der Erzieher hatte eine halbe Stelle, die er notdürftig mit Anwesenheit zwischen sieben und elf ableistete, in der Regel damit beschäftigt, nach dem Frühstück im Erzieherbüro das selten klingelnde Telefon zu bedienen und dem Hirsch neue Wollfäden ins Geweih zu flechten. Carmen und Martin lieÃen ihn gewähren, froh, die morgendliche Aufsicht damit zumindest formal abgegeben zu haben. Für die Einhaltung der jeweiligen Therapietermine oder sonstiger tagesstrukturierender MaÃnahmen hatte ich zu sorgen, sofern ich morgens bereits im Dienst war, ansonsten musste es auch so laufen. Die meisten Therapien begannen sowieso erst ab elf, und wer etwas auÃerhalb der Mühle zu erledigen hatte, musste ohnehin gelernt haben, den Tag ohne Anschub durch die Betreuer zu gestalten.
Man dürfe Theo keinen Druck machen, instruierte mich Martin später, der habe es schwer genug gehabt in seinem bisherigen Leben. Ich solle ihn einfach gewähren lassen, seinen Anweisungen folgen, sofern sie mir sinnvoll erschienen, und mich im Zweifel an Helga oder notfalls auch an Konrad wenden. Nur wenn ich den Eindruck hätte, Theo verhalte sich besonders merkwürdig, solle ich umgehend Bescheid geben, sofort ihn oder Carmen aufsuchen, selbst wenn ich sie dafür wecken müsse.
» Verhält Theo sich denn gelegentlich merkwürdig? « , fragte ich.
» Seit ungefähr vierzehn Monaten nicht mehr. Wir mussten Hajo trotzdem versprechen, ihn im Auge zu behalten. Sozialkontrolle, du verstehst schon ⦠«
» Nicht wirklich. «
» Theo ist trockener Alkoholiker, ich erwähne das bloà für alle Fälle. Er hat das aber im Griff. «
Theo durfte nur unter der Bedingung, dass er nicht trank und einer geregelten Arbeit nachging, alle vierzehn Tage am Wochenende seine beiden Kinder sehen. Die zuständige Dame vom Alsfelder Jugendamt, die auch mit der Hedwig-Beimer-Klinik und der Goldbachmühle zusammenarbeitete, hatte Martin vor etwa anderthalb Jahren Theos Schicksal dargelegt, nachdem vom Förderverein gerade eine halbe Erzieherstelle bewilligt worden war. Martin hatte darin eine Möglichkeit zur Rettung einer weiteren Person gesehen. Am Tag vor Theos Entlassung aus der Entzugsklinik war er bei ihm aufgetaucht, hatte ihn in der Mühle durch die Abstimmung geschleust und den protestierenden Hajo vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich war also nicht die Einzige, deren Anstellung ohne den Segen des Herrn Professor stattgefunden hatte. Konrad vertrat die Ansicht, dass Theo genauso ein Pflegefall wie alle anderen sei, nur dass er auf der Gehaltsliste stünde.
Mit Lena, der Gärtnerin und Arbeitstherapeutin, die in einem Bauwagen hinter den Treibhäusern lebte, verhielt es sich ähnlich, abgesehen davon, dass sie hervorragende Arbeit machte und längst unentbehrlich für den Heimalltag geworden war.
Auf die eine oder andere Weise waren die meisten von uns angeschlagen, hatten ihre » ganz eigene Geschichte « , um es mit Carmen zu sagen, aber vielleicht qualifizierte uns gerade das für die Tätigkeit in der Mühle. Jedenfalls schloss ich nicht aus, dass Carmen und Martin bewusst diese Ansicht vertraten und dementsprechend ihre Personalentscheidungen trafen. Martin sagte einmal: » Die Klarmacher und Durchstarter, die sofort zu allem eine Meinung beitragen können, sind bei uns falsch. Wir bewegen uns auf dünnem Eis, und wer da allzu fest mit dem Fuà aufstampft, wird es eher zum Einbrechen bringen als einer, der sich behutsam vortastet. «
Lena lernte ich gegen Mittag kennen, als ich mit Carmen über das Gelände ging. Sie hatte sich daran erinnert, dass sie es mir zeigen wollte, ich musste gar nicht darum bitten. Lena longierte gerade ein braun-weià geschecktes Pony auf der Reitbahn, die sich neben den Ställen an der vom Haus abgewandten Seite der Treibhäuser befand. Als sie uns entdeckte, stoppte sie das Pony auf Zuruf. Es gehorchte augenblicklich, kam direkt auf sie zugetrabt und holte sich eine Belohnung ab. Lena lief über die Koppel zu uns herüber, das dicke Pony folgte ihr auf den Fersen.
» Das ist Katia, von der ich dir erzählt habe « , stellte Carmen mich vor.
Lena legte eine Hand an den Hals des Tieres, wischte sich die
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