Die Liebe ist ein Daemon
er mich nicht sieht. Das kann nicht wahr sein. Nicht schon wieder er. Es kann nicht sein, dass ich ihn jedes Mal, wenn wir uns sehen, fast umbringe.
»Was zum Teufel machst du da unten?«
»Sei doch leise, ich bin nicht da.«
»Wovon sprichst du eigentlich?«
»Dreh um, mach schon, fahr los, fahr hier weg, ich erkläre es dir später.«
»Lass mich doch wenigstens diesen Typen da um Entschuldigung bitten. Ich hätte ihn fast umgebracht.«
»Neeiiiin!«
|50| Ich hebe ein wenig den Kopf. Gerade so viel, um die Straße vor uns zu sehen. Sie ist menschenleer.
»Das gibt es doch gar nicht«, bricht es aus mir heraus.
»Aber wo ist er hin? Er ist nicht mehr da!«, ruft auch Ginevra.
»Das ist wohl eine Macke von ihm.«
»Eine Macke?«
Ich ziehe mich wieder hoch, blicke in alle Richtungen, aber es gibt keine Spur mehr von ihm. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder schockiert sein soll. Man kann doch nicht zweimal fast ums Leben kommen und dann innerhalb von einer Sekunde verschwinden.
Ginevra lässt den Wagen an und parkt ein.
»Kannst du mir erklären, was mit dir los ist?«, fragt sie, nachdem sie den Motor ausgemacht hat.
Sie steigt aus und nimmt ihre Schultasche.
»Das ist der Typ, den ich fast mit dem Moped überfahren habe.«
»Was?«
»Und auch da war er plötzlich weg! Als ob er sich in Luft aufgelöst hätte …«
»Na, das glaube ich gerne, es ist auch das zweite Mal, das du ihn fast umgebracht hättest.«
»
Du
hast ihn doch fast umgebracht.«
»Ja, aber du warst neben mir und hast dich wie eine Idiotin unter dem Sitz versteckt.«
»Meinst du, er hat mich gesehen?«
»Ich fürchte, ja.«
|51| »Hoffentlich treffe ich ihn nie mehr wieder.«
»An seiner Stelle würde ich das auch hoffen. Der Kerl ist doch gar nicht übel, vielleicht lädt er dich beim nächsten Mordversuch zum Abendessen ein.«
»Ginevra, das ist nicht lustig.«
Lustig ist es auch deswegen nicht, weil dieser Typ bei mir jedes Mal ein so komisches Gefühl auslöst, aber das behalte ich lieber für mich.
Vor dem Schulhof haben sich alle versammelt. Freunde, Klassenkameraden, Gefährten aus ruhmreichen und weniger ruhmreichen Tagen. Wir begrüßen und umarmen uns, und selbst wenn vielleicht nur ein paar Tage vergangen sind, so scheint es doch eine Ewigkeit her zu sein, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.
Wie schön, die vertrauten Gesichter wiederzusehen und mit allen zusammen zu sein.
»Hallo Süße!«
Na ja, das gilt natürlich nicht für alle.
»Hallo Lavinia«, grüße ich zurück und versuche, ihr nicht zu zeigen, wie genervt ich bin.
Sie ist nicht wirklich böse, das sind nur die Gene ihrer Familie. Sie ist nicht böse, nur etwas verwöhnt und vielleicht auch etwas zu egoistisch.
»Wie lange haben wir uns nicht gesehen, du siehst super aus, du bist gar nicht mehr wiederzuerkennen.«
Und sie ist auch ziemlich giftig.
Aber sie ist die Tochter der besten Freunde deiner Eltern, also mach jetzt keinen Aufstand.
|52| Lavinia fährt mit einer perfekt einstudierten Geste durch ihr glänzendes Haar und hält mir ihr wunderschönes und wie mit einem Winkelmaß geschminktes Gesicht hin.
Sie haucht mir zwei Küsse auf die Wangen, natürlich ohne mich dabei zu berühren.
»Na, Süße, wie geht es dir?«
»Ganz gut, ich kann mich nicht beschweren.«
Sie lässt mich mitten in der Antwort stehen, um Lorenzo zu begrüßen, der inzwischen angekommen ist. Den Rucksack über eine Schulter geworfen, hält er Ginevra, die ihm bereits entgegengelaufen ist, fest an der Hand.
Lavinia begrüßt ihn so enthusiastisch wie immer. Ehrlich gesagt zu enthusiastisch.
Sie streicht sich mit einer Hand über ihre perfekte Hüfte und versucht, ihn mit ihren veilchenblauen Augen, denen bereits so viele Jungs erlegen sind, zu hypnotisieren.
Es überrascht mich nicht, dass Ginevra sie noch viel mehr hasst, als ich es tue.
Lavinia ist ein Engel, auch wenn man das nicht denken würde: Sie ist fies, verführerisch und unwahrscheinlich sexy.
Engel sind eigentlich keine Kannibalen, aber Lavinia vernascht nur so die Männer – oder vielmehr ihre Herzen.
Wir reden alle durcheinander und warten darauf, dass man uns unsere Klassenzimmer zuweist. Der Hausmeister steht bereits ganz oben auf der Außentreppe, damit man ihn besser sehen kann, und hält ein Blatt Papier in der Hand, auf |53| dem die einzelnen Klassen und die dazugehörigen Räume verzeichnet sind.
Alle hoffen natürlich, nicht in dem Raum zu landen, den wir nur »das
Weitere Kostenlose Bücher