Die Liebe ist ein Daemon
natürlich nichts vormachen.
»Ist irgendwas passiert?«
»Warum?«
»Du hast Federico gar nicht begrüßt. Er saß doch da, genau vor uns, und du hast ihn nicht mal angeguckt … Ich brauch dich wohl nicht daran zu erinnern, dass er dir beinahe das Leben gerettet hat?«
»Na, übertreib mal nicht.«
»Was heißt hier übertreiben? Wenn er nicht gewesen wäre, würdest du immer noch mit Drogen vollgepumpt in Marcos Zimmer liegen oder Paride hätte schon längst Hackfleisch aus dir gemacht!«
»Ja, ich wollte gar nicht sagen, dass … ach, ich wollte eigentlich überhaupt nichts sagen.«
»Entschuldige, aber dann kapier ich echt nicht, was das Ganze soll.«
Gott sei Dank erreichen wir in dem Moment das Klassenzimmer und ich kann das Gespräch beenden.
Beim Spiel »Vittoria gegen das Leben« ist das ein klares 1: 0 für mich!
Aber das Leben holt in der Pause zum Rückschlag aus.
»Warum gehst du mir aus dem Weg?«
Ich bin noch im Klassenzimmer, als Federico plötzlich, |152| ohne Vorwarnung, hinter meinem Rücken auftaucht. Ich zucke vor Schreck zusammen.
»Ich geh dir nicht aus dem Weg.«
»Aber du sprichst nicht mit mir.«
»Jetzt spreche ich doch mit dir.«
Er greift nach meiner Hand. Mit dieser Berührung habe ich nicht gerechnet und ich bemühe mich, ganz cool zu bleiben.
»Wie geht es deiner Wunde?«, fragt er mich sanft. Dann schiebt er den Ärmel nach oben, um sie sich anzusehen.
Obwohl bereits so viel Zeit vergangen ist, kann man den rosafarbenen Schnitt noch genau sehen.
Federico streicht über die Narbe. Ich bekomme eine Gänsehaut.
Und ziehe meinen Arm von ihm weg.
Er sucht meinen Blick und ich kann in seinen dunklen Augen lesen, wie verwirrt er ist.
»Soll ich lieber wieder gehen?«
Ich nehme alle Kraft zusammen, um mit dem Kopf fast unmerklich zu nicken.
»Und nicht wiederkommen?«
Noch mehr Kraft für ein noch kürzeres Nicken.
Ich spüre, wie sich seine Augen in mein Herz einbrennen, während er flüstert: »Ich kann es dir aber nicht versprechen …«
Er ist sofort verschwunden. Das Klassenzimmer ist leer. Komplett leer. Es ist, als hätte sich an der Stelle, wo er gestanden hat, ein Abgrund aufgetan.
|153| Nach Schulschluss sehe ich ihn vor der Schule wieder. Er sitzt bereits auf seinem Motorrad. Als er mich sieht, düst er sofort los, ganz so, wie es unser seltsames Abkommen vorsieht. Die Maschine heult dabei laut auf, es klingt fast, als hätte ein Zentaur furchtbar schlechte Laune.
»Geht es dir gut?«, fragt mich Lorenzo. »Du siehst blass aus.«
»Mir geht’s gut«, versichere ich ihm, aber der Ton meiner Stimme verrät alles.
Es geht mir in Wirklichkeit beschissen, aber ich hab es nicht anders verdient und irgendwie ist das auch egal.
Mein Arm tut mir weh. Die Narbe, die Federico berührt hat, brennt so sehr, als ob ich mich gerade erst geschnitten hätte.
Aber sie wird sicherlich bald nicht mehr zu sehen sein. Genauso wie die Leere, die er hinterlassen hat, irgendwann verschwinden wird.
|154| HAUPTSACHE, NICHT ER
Es fällt mir jeden Tag leichter, Federico zu ignorieren. Gleichzeitig tut es immer mehr weh. Aber am Ende gewöhnt man sich an alles: an die glücklichen Momente genauso wie an die verzweifelten. Der Körper nimmt alles langsam und unausweichlich in sich auf, er spült Erfolge und Enttäuschungen, Freude und Tränen einfach herunter. Er verschlingt jede noch so kleine Spur davon und eines schönen Tages wacht man auf und stellt fest, dass nichts übrig geblieben ist. Absolut nichts.
Ganz sicher wird auch für mich irgendwann dieser Tag kommen.
»Was hast du, Liebling?«, fragt meine Mutter besorgt. Wir sitzen gerade beim Abendessen und ich habe noch keinen einzigen Bissen runtergekriegt. Mein Vater ist bei der Arbeit und Elena mit ihren Freunden ausgegangen.
»Nichts, ich hab keinen Hunger.«
»Du solltest aber was essen, du bist in letzter Zeit so dünn geworden.«
»Ich weiß Mama, du hast ja recht«, sage ich und versuche, das Gespräch zu beenden.
»Ist irgendwas passiert?«, fragt sie, aber sofort verbessert sie sich. »Ich meine, noch etwas anderes?«
|155|
Es ist nicht »irgendwas« passiert, Mama, sondern »alles«. Alles ist ganz anders geworden.
Das würde ich ihr am liebsten sagen. Seit dem Tag, als ich sie zu diesem verdammten Haus begleitet habe, seitdem ich Federico kennengelernt habe, ist nichts mehr, wie es war. Aber es sind zu viele Dinge, die ich ihr erklären müsste, und ich habe gerade überhaupt keine Lust auf
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