Die Liebe ist ein Daemon
werde, um diesem Monster ins Gesicht zu sehen. Ich werde ihn eigenhändig umbringen, selbst wenn es mich das Leben kosten sollte. Darum bin ich heute Nacht hierhergekommen. Um weit weg von zu Hause zu trainieren. Damit ich zu allem bereit bin … damit ich bereit bin, euch zu verteidigen. Deswegen habe ich die Flügel ausgebreitet. Damit ich an dem Tag, an dem ich ihm gegenüberstehen werde, weiß, was ich zu tun habe.«
»Wenn du wem gegenüberstehst? Von wem sprichst du überhaupt?«
»Von dem Dämon«, antwortet er und das Wort dröhnt wie eine Anklage in meinem Kopf. »Er hat nicht irgendein Mädchen umgebracht, verstehst du, sondern einen Engel … Er hat das einzige Wesen angegriffen, das ihm gefährlich werden konnte, wenn es das bloß gewusst hätte und nicht so … verwundbar gewesen wäre.«
»Wie denn?«, frage ich. Ich habe das Gefühl, dass ich ihm nicht ganz folgen kann, vor allem aber scheint er, viel mehr als ich zu wissen.
»Nur ein Dämon kann einen Engel töten …«, fährt er fort. »Und gleichzeitig kann ein Dämon nur von einem Engel umgebracht werden: Wir sind unser gegenseitiges Gift und unser gegenseitiger Tod.«
Ich fühle nichts mehr. Mir gehen dumme und idiotische |148| Gedanken durch den Kopf, die gleichzeitig total verrückt sind. Und gefährlich. Nicht nur für mich allein. Aber ich kann es Lorenzo nicht sagen, ich kann es niemandem sagen, nicht einmal mir selbst.
Es reicht jetzt. Die Menschen treffen jeden Tag grundlegende Entscheidungen, und so wie es aussieht, werde auch ich eine Entscheidung treffen.
Ab heute werde ich Federico aus dem Weg gehen … ganz so, wie man dem Tod aus dem Weg geht.
|149| ICH KANN ES DIR NICHT VERSPRECHEN
Die Tage vergehen. Das Leben geht weiter, einfach so, als ob nichts geschehen wäre. Es dreht und dreht sich und nimmt seinen gewohnten Lauf wieder auf. Ich werde von ihm mitgerissen und verliere mich wieder in seinem Getriebe.
Und ich lasse mich einfach treiben.
Ich versenke mich in meine alltäglichen Aufgaben und lasse mich von der Schule und vom Lernen vollkommen einnehmen. Ich interessiere mich mehr als gewöhnlich für meine Familie und für meine Freunde. Ich fühle mich wie immer, ich bin immer noch Vicky, ich führe dasselbe Leben und habe die gleichen Gedanken. Ich mache einfach weiter … keiner kann die schwarzen Schatten unter meinen Augen sehen, alles bleibt vor den Blicken der anderen verborgen.
Ich mache einfach immer weiter.
Sobald ich aber abends alleine in meinem Zimmer bin, das letzte Stück des Vorhangs zuziehe, die Bühne verlasse und aus der Rolle schlüpfe, die ich den ganzen Tag so überzeugend gespielt habe, lege ich meinen Panzer ab und lasse den unterdrückten Schmerz hinaus.
Es ist ein dumpfer Schmerz. Und Angst. Angst, weil ich nicht weiß, was ich will. Vielleicht auch Angst, weil ich nur |150| zu gut weiß, was ich will, mir aber ganz und gar im Klaren darüber bin, wie absurd dieser Wunsch ist.
Es ist Montagmorgen, Viertel nach acht. Ginevra und ich betreten das Schulgelände. Es ist schon ziemlich spät, obwohl wir für unsere Verhältnisse fast pünktlich sind. Wir beeilen uns also nicht wirklich und ausnahmsweise sehen wir mal nicht so abgehetzt aus wie Alice im Wunderland, die das weiße Kaninchen verfolgt. Und wir sind nicht die Einzigen, die spät dran sind.
Federico ist es auch.
Er sitzt mit dem Rücken an eine Säule gelehnt, regungslos wie eine Statue auf einer Treppenstufe und steckt mal wieder seine Nase in ein Buch.
Eine Fünftklässlerin schaut ihn mit tellergroßen Augen an, eine andere rennt fast einen Blumenkübel um. Doch er blickt nicht mal hoch und scheint von der ganzen Aufmerksamkeit, die seine Anwesenheit erregt, überhaupt keine Notiz zu nehmen. Dafür bemerkt er uns. Und hebt den Kopf.
Ginevra winkt ihm grinsend zu.
Er lächelt zurück.
Dann guckt er, immer noch lächelnd, in meine Richtung. Wahrscheinlich wartet er auf einen Gruß oder auf irgendein anderes kleines Zeichen. Das nicht kommt.
Sein Lächeln erstirbt, seine Augen hören auf zu leuchten. Er guckt mich verstört an, aber ich schaue in eine andere Richtung und steige schnell die Treppe hoch.
Ich nehme zwei Stufen auf einmal und Ginevra folgt mir.
»Hey, jetzt wart doch mal. Was ist denn mit dir los? Hast |151| du erst jetzt bemerkt, dass wir spät dran sind?«, fragt sie mich und lacht.
Ich halte an.
»Na komm schon, beeilen wir uns«, antworte ich, so natürlich wie möglich. Aber ihr kann ich
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