Die Liebe ist ein Daemon
präzisen Stich durchbohren.
»Du brauchst gar nichts mehr zu sagen.«
Gut, ich schaffe es ja eh nicht. Ich lege die Hand an die Stelle, in der die imaginäre Nadel steckt.
»Ich hab keine Lust, irgendeinen Tausch zu machen, der am Ende nur die Lehrer nervt. Und ich kenne Federico fast nicht. Bei Lorenzo dagegen weiß ich, dass man mit ihm gut zusammenarbeiten kann.«
Sie guckt auf ihre granatrot lackierten Fingernägel.
»Ja, aber auf seinem Motorrad bist du gern mitgefahren!«
Ich schaue sie fassungslos an, ganz bestürzt über das, was gerade aus meinem Mund gekommen ist.
Ich hab’s gesagt. Welcher Teufel hat mich den jetzt geritten?
»O Gott, nee, Lavinia, entschuldige … ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Vergiss es, ich wollte das nicht sagen, du kannst natürlich machen, was du willst.« Ich schlage die Hand auf meinen Mund.
Aber nicht mit ihm,
beharrt eine Stimme in mir.
Mann, ich ertrage diese Zweiteilung in meinem Gehirn nicht mehr. Wenn ich Federico im Kopf habe, sag ich nur noch das Gegenteil von dem, was ich eigentlich sagen möchte.
»Ist gut … er hat mich nur ein Stück mitgenommen«, beteuert Lavinia und wirft mir einen finsteren Blick zu.
»Okay, ich hab’s verstanden. Danke.«
|182| »Gern geschehen.«
Sie steht auf und stellt ihren Stuhl zurück. Sie geht auf die Tür zu, dann zögert sie kurz.
»Vittoria, schau mal, ich bin doch nicht blöd. Es ist doch ganz offensichtlich, dass ihr aufeinander steht. Warum hört ihr denn nicht endlich auf, euch ständig aus dem Weg zu gehen?«
|183| ETWAS ZERBRICHT
Ich stehe noch vor dem Klassenzimmer und denke über die Worte von Lavinia nach, als auf einmal Federico vor mir steht.
Mein erster Impuls ist, ihn anzulächeln und Hallo zu sagen.
»Was machst du hier?«, frage ich ihn dagegen knapp.
Er grinst mich an und der finstere Gang wird plötzlich in ein warmes Licht getaucht.
»Ciao Vicky. Ich finde es eine entzückende Vorstellung, dass du denken könntest, ich wäre wegen dir hergekommen. Leider muss ich dich daran erinnern, dass sich die Getränkeautomaten hier auf diesem Gang befinden.«
Er tritt einen Schritt auf mich zu, nimmt meine Hand und drückt sie fest zusammen.
Es verschlägt mir den Atem. Ich starre ihn sprachlos an.
»Und noch was. Erinnerst du dich, was ich dir vor einiger Zeit versprochen habe?«
Ja – dich von mir fernzuhalten.
Seine Pupillen durchbohren mich und ich kann nur mit großer Mühe nicken.
Federico lächelt schief und zieht die gepiercte Augenbraue |184| nach oben. »Es tut mir leid, aber mir ist es noch nie leicht gefallen, meine Versprechen zu halten.«
Er führt meine Hand zu seinem Mund und wendet seinen Blick nicht von mir ab.
Wie viele Dinge es in diesen Augen zu entdecken gibt … Licht und Dunkelheit fließen ineinander, vermischen sich und lösen die widersprüchlichsten Gefühle in mir aus. Zwischen tausend Ausflüchten, Lügen und Wünschen muss es eine Wahrheit geben, die irgendwo in diesen Augen zu finden ist. Sie schwebt ganz tief unten und sendet einen feinen und wunderbaren Glanz aus, wie eine Perle, die durch die Strömung eines Flusses davongetragen wird.
Ist es das wert?, frage ich mich.
Ist es das wert, so zu leiden, nur um zu diesem Glanz zu gelangen? Ist es das wert, sich über den Rand des Flusses zu beugen und den Arm bis zur Schulter in das trübe Wasser zu senken, sich nach vorne zu lehnen, so weit, bis das Gesicht den Rand berührt und vom Wasser benetzt wird, und bei dem Versuch, dieses Leuchten zu erreichen, den Schimmer dieser Perle zu ergreifen, beinahe hineinzufallen?
Ist es das wirklich wert?
Das unerbittliche Klingeln des Gongs reißt mich aus meinen Gedanken.
Federico lächelt immer noch.
»Na dann, Vicky, wir sehen uns ja bald.«
Er lässt meine Hand los und geht in Richtung Treppenhaus.
Ich bleibe zwei Sekunden lang wie angewurzelt stehen. |185| Mir fällt kein einziges sinnvolles Wort ein, nichts, was ich ihm antworten könnte.
»Die Getränkeautomaten sind aber in der ganz anderen Richtung!«, schreie ich ihm schließlich hinterher. Wahrscheinlich hört er mich schon gar nicht mehr.
Ich gehe zurück in die Klasse, setze mich an meinen Platz und kann trotz allem ein intensives Glücksgefühl nicht unterdrücken.
Später streiten sich Lorenzo und Ginevra wieder einmal, diesmal sogar ziemlich heftig. Sie zischeln die ganze Zeit aufgeregt miteinander, versuchen, möglichst leise zu sein, schaffen es aber nur teilweise, sodass
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