Die Liebe ist ein Daemon
Garten, die Schule, Lorenzo in einer Blutlache, |215| das Buch mit der Abbildung, die ich so gerne ignoriert hätte. Das Symbol darauf, sein Brandmal, das Zeichen für seine nicht menschliche Natur, die im Widerspruch zu den Engeln steht. Die das Gegenteil von Leben ist. Die den Tod bedeutet. Meinen Tod.
»Aber genau so ist es«, spricht er weiter. »Überleg doch mal, Vicky, kein Ort der Welt wäre ein besseres Versteck. In dieser Stadt würdet ihr uns niemals suchen, hier würde uns der Rest der Welt nie vermuten …«
»Ihr versucht, euch einfach unterzumogeln«, sage ich fast wie zu mir selbst.
»Wir machen nur das, was ihr auch macht.«
»Warum erzählst du mir das? Du weißt doch, wer ich bin. Du weißt,
was
ich bin!«, schreie ich. »Wie konnte ich nur so blöd sein!«
»Ich hab’s dir doch schon gesagt, es ändert nichts an meinen Gefühlen«, sagt er mit frustrierter, müder Stimme und einem entschlossenen Gesichtsausdruck, der so schön ist, dass es wehtut.
Wir schreien uns an und weinen gleichzeitig, hier in dieser Gruft, diesem Grab aus Stein, mehrere Meter unter der Erde.
»Ich musste es dir einfach sagen … du warst so überzeugt davon, dass ich es nicht bin.«
»Ich habe es aber immer befürchtet … von Anfang an. Ich habe so getan, als würde ich meine innere Stimme nicht hören, die Stimme, die mir immer wieder befohlen hat, schnell wegzulaufen. Ich habe so getan, als würde ich sie nicht verstehen. Ich habe geglaubt … ich habe gehofft, dass mein |216| Herz auf jeden Fall recht behalten würde, und deswegen habe ich abgewartet. Ich habe zugelassen, dass du einen Platz in meinem Leben finden konntest, ohne wirklich dazuzugehören.«
Meine Seele zerreißt in tausend kleine Stücke.
»Und dann hast du angefangen, mir aus dem Weg zu gehen …«
»Was hast du denn erwartet?«, schreie ich unter Tränen, so laut, dass die Wände zittern. »Ich bin doch nicht verrückt. Wenn mein Herz mich schon nicht retten wollte, musste ich es eben selber tun.«
Er schüttelt den Kopf.
»Aber heute warst du plötzlich so anders, so ruhig …«
Ich verschränke die Arme vor der Brust.
»Ich hab mir dein blödes Gequatsche über die Liebe angehört. Diesen Fehler mache ich nie wieder. Warum hast du mir das nicht sofort gesagt? Warum hast du zugelassen, dass ich …« Ich gerate ins Stocken.
»Was hab ich zugelassen? Dass du …?«
»Spiel nicht mit mir, Federico. Und verlange nicht, dass ich diesen Satz zu Ende bringe.«
Die Angst umklammert mich mit einem kalten Griff und drückt meinen Hals wie mit einem Schraubstock zusammen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, ich schließe die Augen und öffne sie wieder und suche eine Kraft in mir, die ich nicht habe. »Ein Dämon …«, murmele ich.
»Man ist, was man ist.«
Der Zangengriff der Angst umgreift mich fester, zerdrückt |217| meine Brust, meine Lungen, meinen Unterleib. Er packt mich, hält mich eisern fest, erbarmungslos und schmerzhaft, als würde ein kaltes Messer mich durchdringen.
»Das hat nichts zu sagen«, versichert er ohne große Überzeugung.
»Das soll nichts zu sagen haben?«, wiederhole ich bestürzt. »Du bist verrückt, verstehst du das nicht?«, schreie ich außer mir.»Verstehst du das wirklich nicht? Wir sind wie Tag und Nacht. Wir sind wie Gift, für das es kein Gegengift gibt. Ich könnte dich umbringen! Und du …«
Ein Blitz.
Ein greller Lichtschein, der mich fast blind macht.
Alessia.
Meine Freundin … ist tot.
Ein ermordeter Engel.
Jetzt erst wird mir das Furchtbare bewusst. Jetzt erst wird mir in aller Deutlichkeit klar, wo ich bin und wer vor mir steht.
Was richtige Angst ist, versteht man erst, wenn man sie erlebt.
Wenn man sie am eigenen Leib spürt.
Sie wirft sich auf dich wie ein Monster und hängt sich mit ihren blutverschmierten Reißzähnen an deinen Hals.
Was richtige Angst ist, begreift man erst, wenn man ihren stinkenden Atem fühlt: hier, unter der Erde, für immer eingeschlossen in einem unterirdischen Felsgang.
»Du …«
Ich kann nicht weitersprechen.
|218| »Alessia …«, hauche ich panisch.
Er reißt seine schwarzen Augen weit auf.
»Was?«
Dann versteht er es.
»Nein. Vittoria, o Gott, nein.«
Zu spät.
Ich bin schon davongelaufen.
|219| ICH SEHE NICHTS MEHR
Ich laufe, so schnell ich kann, durch die engen, niedrigen Grabgänge. Meine Taschenlampe schlägt gegen die Wände, ich rutsche immer wieder aus, pralle gegen die Steinmauern
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