Die Liebe ist ein Daemon
ist zu hören. Wo ist er hingegangen? Er kann ja nicht rausgelaufen sein.
Ich seufze und spüre einen seltsamen Schmerz in der Brust. Es gelingt mir nicht, ihn zu hassen. Ich schaffe es einfach nicht. Ich humple langsam los und ziehe das schmerzende Bein hinter mir her. Ich habe den Ausgang fast erreicht.
Dann sehe ich ihn.
Er hat sich dicht an die Wand gedrängt. Zusammengekauert sitzt er auf dem Boden und stützt den Kopf auf seinen überkreuzten Armen ab.
Er rührt sich nicht.
Sein unregelmäßiger, schwacher Atem ist das Einzige, was sich noch regt.
Mit einem Mal haben sich die Seiten vertauscht, ein weiteres verdammtes Mal in diesem absurden und verrückten Spiel, das das Leben mit mir spielt.
Ich blicke ihn an. Ich sehe kein Monster vor mir, keinen wahr gewordenen Albtraum, vor dem ich mich fürchten und weglaufen sollte. Ich sehe ihn so, wie er mich an jenem Abend bei Marco gesehen hat: schwach und wehrlos.
Ich glaube ihm. Ich glaube das, was er mir gesagt hat.
»Ich glaube dir«, flüstere ich. »Ich glaube dir … komm, wir müssen hier raus.« Ich beuge mich über ihn. »Was hast du denn?«
Er hebt den Kopf und zeigt mir im Schummerlicht sein wundervolles Gesicht. Seine Lippen beben.
|224| Die Augen sind so groß, das man sich in ihnen verirren könnte, sie leuchten dunkel und eindringlich und scheinen ein wenig zu flimmern.
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, murmelt er. Seine Stimme ist nicht mehr als ein bitterer Hauch. »Es ist alles meine Schuld … Wir kommen hier nicht mehr raus.«
Er atmet schwer. Es ist, als würde er keine Luft mehr bekommen, als wäre er am Ersticken, obwohl es hier genug Sauerstoff gibt.
Er fängt an zu keuchen und seine Brust zieht sich zusammen. Seine Wangen verfärben sich bläulich.
»Federico, was ist los mit dir?«
Er dreht plötzlich seinen Kopf weg und reißt die Augen auf. Der reinste Terror spiegelt sich in ihnen. Ich springe vor Schreck zurück, aber dann verstehe ich alles.
»Du hast ja Platzangst!«
Jetzt begreife ich, warum er vorhin so unsicher war, als wir die unterirdischen Grabgänge betreten wollten. Und ich weiß jetzt auch, warum er damals, als wir alle zusammengequetscht im Klassenzimmer saßen, lieber an der offenen Tür gewartet hat.
Als er meine Worte hört, wird er erneut von einem Krampf geschüttelt. Er schnappt verzweifelt nach Luft. Plötzlich springt er hoch. Er gerät kurz ins Taumeln, fängt sich wieder und macht einen Schritt zum verschlossenen Ausgang. Hektisch kratzt er mit den Fingern über den Felsbrocken und beißt sich auf die Unterlippe. Man sieht förmlich, wie sehr er sich für seine unkontrollierte Reaktion hasst.
|225| »Dieser verdammte Stein … es ist meine Schuld«, sagt er mit erstickter, heiserer Stimme.
»Warum bist du überhaupt dort runtergegangen? Warum hast du vorher nichts zu mir gesagt?«
Ich werde nervös. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich ihn beruhigen soll.
»Weil ich ein Idiot bin«, japst er, legt seinen Kopf in die Hände und lässt sich die Wand hinuntergleiten.
Ich habe Angst, schon wieder solche Angst, aber diesmal um ihn. Ich fühle mich so hilflos.
Was soll ich denn jetzt machen?
Ich springe auf und drücke mit aller Kraft gegen den Stein. Aber es bringt nichts.
»Der sitzt fest«, sagt er stockend.
»Wir müssen Hilfe rufen«, schlage ich vor. Langsam wird mir das Ganze unheimlich.
Aber wer kann uns denn schon hören? Wir sind so weit von allen anderen entfernt, und wenn sie endlich merken, dass wir fehlen, könnte es schon zu spät sein.
Was soll ich denn nur tun?
Federicos Atem ist in ein leises Röcheln übergegangen.
»Du hast doch vorhin aus Versehen den Stein bewegt. Weil du einen Wutausbruch hattest. Und warum kannst du ihn jetzt nicht einfach wieder zur Seite schieben?«
»Nein. Ich … ich schaffe das nicht.«
Das Sprechen fällt ihm unheimlich schwer. »Die Wut hat mich stark gemacht … aber jetzt habe ich solche Angst … jetzt geht das nicht mehr.«
|226| Ich muss ihn beruhigen, sonst steht er das nicht mehr lange durch.
Ich beuge mich zu ihm hinunter und drehe sein Kinn zu mir. Ich löse seine Arme, die die Knie umschlingen, aus der Umklammerung, damit sein Brustkorb wieder frei wird und er besser atmen kann.
Wie eine große Stoffpuppe lässt er alles mit sich machen.
Er atmet jedoch immer schwerer, seine Nerven sind bis aufs Äußerste gespannt und seine Unterlippe ist von den vielen Bissen ganz rot geworden.
»Okay, jetzt versuch
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