Die Liebe ist ein Daemon
Taschenlampe. Der Lichtkegel erweitert sich und verteilt sich in dem Raum wie das Licht einer kleinen Öllampe.
»Wir sind da.«
Ich nehme meinen Schreibblock und einen Stift heraus und fange an, die ersten vagen Eindrücke, die ich von diesem schaurigen Ort gewonnen habe, zu notieren. Wenn ich mir überlege, dass wir uns in einem kleinen, in Fels gehauenen Friedhof befinden, stellen sich mir die Haare auf.
Ich habe mir die Schlaufe der Taschenlampe über das Handgelenk gestreift. Sie wackelt bei jeder Bewegung hin und her und lässt ihr fahlgelbes Licht über die Wände und Sarkophage tanzen. Ich muss schlucken und kritzle schnell weiter.
Federico ist anscheinend immer noch sehr nervös. Er geht langsam weiter und blickt sich dabei ständig um. Manchmal gerät er in den Strahl der Taschenlampe, um dann wieder von der Dunkelheit verschluckt zu werden.
Er kommt und geht, taucht auf und verschwindet wieder, im Licht, in der Dunkelheit, wieder im Licht.
Er könnte ein Toter aus einem dieser Gräber sein, eine von diesen Seelen, die wir gerade stören, ein Geist, der in den dunklen Gängen umherirrt und dabei mit distanziertem |205| Blick beobachtet, wie ich mir Notizen über seinen Tod mache.
Er bleibt neben mir stehen und starrt eine Wand an.
Das Licht lässt sein Gesicht nur in groben Zügen erahnen, doch es hebt deutlich die Linien seines Profils hervor, die Stirn, die Wangenknochen, die Lippen und seinen Hals, der aus einem dunkelgrauen Schal hervorguckt.
Mein Gott, wie schön er ist, denke ich, während ich weiterschreibe.
Er hebt seine Hand. Ihre Umrisse werden vom staubigen Licht erfasst. Er stützt sie auf der Felswand ab und beginnt, sie hin und her zu bewegen, als ob er die Wand streicheln wollte. Sie ist wunderschön, diese Hand mit den schmalen, feingliedrigen Fingern.
Ich kritzle weiter in meinem Block, während er die Wand in allen Einzelheiten betrachtet. Das Licht der Taschenlampe flackert. Es herrscht eine gespenstische Stille und ich halte mit dem Schreiben inne.
Ich drücke hinten auf den Kugelschreiber und die Mine schiebt sich mit einem lauten Knack nach innen. In der Stille klingt es wie eine Explosion.
»Schreibst du gar nichts auf?«, frage ich und senke dabei instinktiv die Stimme, ohne den Blick von meinem Block abzuwenden.
»Ich notier mir doch alles.«
Ich gucke ihn an, er grinst.
»Ich habe ein gutes Gedächtnis«, sagt er und verschwindet wieder in der Dunkelheit.
|206| Ich betrachte immer noch die eingeritzten Inschriften und die im Laufe der Zeit verwitterten und verschwommenen Fresken und stelle mir dabei Federico vor, der irgendwo in meiner Nähe, bewegungslos wie eine Statue, im Dunkeln verharrt. Dann schreibe ich weiter.
»Du schaust echt süß aus, wie du da so stehst und dir Notizen machst …«
Ich werde in der Dunkelheit rot und höre mitten im Wort auf zu schreiben.
»Wie meinst du das?«
»Manche Leute sehen einfach nur bescheuert aus, wenn sie versuchen, im Stehen irgendwas aufzuschreiben. Sie können den Block nicht richtig halten und stützen sich immer wieder irgendwo auf und schwanken dabei hin und her, so als wären sie besoffene Flamingos.«
Ich bin also nicht die Einzige, die idiotische Vergleiche anstellt.
»Du dagegen siehst sehr elegant aus, wenn du dir Notizen machst«, sagt er weiter.
»Und du schaffst es, ›besoffene Flamingos‹ zu sagen, ohne dir total bekloppt vorzukommen.«
Er lacht. Ein Geräusch, wie wenn viele kleine silberne Kugeln aufeinandertreffen, erfüllt den Raum.
Jetzt habe ich sein Lachen nicht gesehen, denke ich traurig. Er steht immer noch irgendwo in der Dunkelheit.
»Was für ein Glück für dich, dass du keine Angst im Dunkeln hast«, sage ich übermütig.
»Das stimmt, aber du ja anscheinend auch nicht … obwohl |207| du dich als kleines Mädchen im Dunkeln schrecklich gefürchtet hast und nur schlafen konntest, wenn du dir die Decke bis über die Ohren gezogen hast.«
»Woher weißt du das?«, frage ich und drehe mich erstaunt um.
»Du hast es mir selbst gesagt, als du bei mir übernachtet hast. Zusammen mit vielen anderen Dingen … Ich hatte dich nach deinen Ängsten gefragt und du hast mir als Erstes diese Geschichte erzählt.«
»Auf jeden Fall hat das mit der Decke gut geklappt. Ich wurde noch nie von einem Vampir gebissen«, füge ich hinzu.
Das war nämlich meine wahre Angst. Ich habe mich nicht vor der Dunkelheit, sondern vor den Vampiren gefürchtet, die ich als Kind einmal in einem Film
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