Die Liebe ist ein Daemon
gesehen hatte.
»Klar, das ist ja bekanntlich sehr effektiv«, lacht er mich aus, wird dann aber gleich wieder ernst. »Aber es gibt einen Grund für die Angst. Ich meine jetzt nicht die Vampire, sondern die Dunkelheit. Es ist die Angst vor dem Unbekannten, also nicht zu wissen, was vor einem verborgen sein könnte …«
Genau so ist es, denke ich und kann ihn immer noch nicht sehen. Ich spreche zu einer Stimme ohne Gesicht.
»Und … möchtest du wissen, was du mir damals noch erzählt hast?«
»Ja, sag mal«, antworte ich zögernd.
»Es war eine sehr schöne Sache. Ich glaube, ich werde nie den Ton deiner Stimme vergessen, als du diesen Satz gesagt hast.«
|208| Ich beginne, nervös eine Haarsträhne um meinen Finger zu wickeln, das Licht zittert, es flackert verstört auf und sein Schein zerbricht in tausend leuchtende und vibrierende Splitter.
»Du hast gesagt, dass du Angst hättest, dich nicht zu verlieben.«
Pause.
»Erinnerst du dich?«, fragt er.
»Nein, überhaupt nicht«, lüge ich.
Meine Antwort fällt auf den Boden. So schwer und leer, wie nur Lügen klingen können.
»Du hast mir in der Nacht eine Menge Dinge über dich erzählt, von deiner Schwester, was du am liebsten isst, wie dir einmal eine Kaffeemaschine explodiert ist, von Lorenzo, von deinem ersten Schultag, von deinen Hobbys, von Ginevra. Welche Musik du liebst, welche du hasst, was dir gefällt und was du nicht ausstehen kannst … ganz ganz viele Sachen.«
Er lacht. »Ich weiß nicht, warum, aber du warst der erste Mensch, den ich in dieser Stadt getroffen habe …« Die Erinnerung, wie ich auf dem außer Kontrolle geratenen Moped direkt auf ihn zusteuere, durchzuckt mich. »… auf einmal warst du da und bist mit deinem Roller direkt vor mir gestanden. Am nächsten Tag warst du dann sogar bei uns im Garten.«
Die Schlaufe der Taschenlampe rutscht vom Handgelenk in meine Handfläche. Ich greife nach der Lampe und lasse zu, dass ein schwacher Lichtschein auf sein Gesicht fällt.
|209| »Aber du hast mich erst nicht interessiert. Klar, dass ich dich total hübsch fand, aber …«
Wen, mich?
»Dann bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Das klingt sicher absurd, ich wollte dich so gerne kennenlernen und im selben Moment …«
Sprich weiter, ich bitte dich.
Seine honigsanfte und gleichzeitig eiskalte Stimme nimmt den Faden wieder auf. »Aber im selben Moment gab es auch ganz andere Gefühle. Ich hab mich fast vor dir gefürchtet, hatte irgendwie Angst …«
Angst. Schon wieder dieses Wort, voller Spinnweben, Dunkelheit und Blut. Es zwängt sich zwischen uns und versetzt mir einen messerscharfen Stich. Die Gefühle, die er beschreibt, kenne ich nur zu gut.
»Ich wollte bei dir sein, dann wieder nicht, ich sehnte mich nach dir, aber ich fühlte mich von dir eingeschüchtert …«
Er streicht sich über Gesicht und Haare.
»Dann, an diesem Abend …«
Seine Stimme wird weich wie Samt.
Passiert das wirklich gerade?
, denke ich und kämpfe mit den Tränen, die seit geraumer Zeit, ich weiß gar nicht mehr, wie lange schon, gegen meine Augen drücken.
Sagt er mir wirklich gerade all diese Dinge, hier in diesem Grab, ein paar Meter unter der Erde?
»An diesem Abend …«
Er blickt hoch und seine blanken Augen funkeln mich wie zwei schwarze Edelsteine an.
|210| »Als ich bei Marcos Party deine Freunde getroffen habe, die nach dir gesucht haben, verstand ich plötzlich, dass dein Verschwinden irgendwas mit diesem Dreckskerl zu tun haben musste.«
Wenn das jetzt nur so ein verdammter Traum ist, denke ich auf einmal, oder ein Albtraum, etwas, das sich mein krankes, grausames Gehirn ausdenkt, wenn das nicht die Wirklichkeit ist, sondern nur ein perverses Spiel meiner schlafenden Gedanken, dann möchte ich mich morgen früh nicht mehr daran erinnern können.
»Ich habe dir geholfen. Ich habe einem Menschen geholfen, der sich in Gefahr befunden hat, nicht mehr und nicht weniger. Aber später, als wir auf dem Weg zu mir nach Hause waren …«
Er hat immer mehr Mühe weiterzusprechen. Seine Worte werden weicher und schwächer, sie sind wie schwere Schneeflocken, die vom Wind umhergewirbelt werden.
»Vielleicht habe ich mich nicht mehr vor dir gefürchtet, weil es dir schlecht ging, weil du schwach und zerbrechlich warst. Du hättest mir nichts anhaben können, selbst wenn du es gewollt hättest. In jeder Minute, die verstrich, fühlte ich, wie sehr ich dich neben mir haben wollte, ich
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