Die Liebe ist ein Daemon
einen Moment, an dem ich aufgehört habe, mich zu fürchten«, flüstere ich mehr zu mir als zu ihm, aber ich weiß, dass er mich hören kann. Ich muss ein wenig über meine Ahnungslosigkeit von damals lächeln. »Vielleicht war ich nicht mehr ganz bei mir oder vielleicht … ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber in diesem Augenblick hat alles begonnen, hat sich alles verändert …«
Keine Ahnung, warum ich ihm das erzähle. Vielleicht treiben mich die kalten, düsteren Steine dazu, verrückte Dinge zu tun, oder vielleicht sprechen sie mir auch einfach nur Mut zu.
Ich klemme mir eine Haarsträhne hinters Ohr und fahre fort.
»Weißt du, es war in dem Moment, als es mir so richtig beschissen ging und ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Du hast mich ganz fest in den Armen gehalten und ich hab dich ohne Ende vollgequatscht und alles war so seltsam, so verwirrend … Ich war ganz allein mit dir, war absolut hilflos und trotzdem war ich ruhig … ich fühlte mich bei dir in Sicherheit.«
Es wird mir langsam peinlich und ich schüttele meinen Kopf. Gott sei Dank kann man in dem Dämmerlicht nicht sehen, wie knallrot ich geworden bin.
»Vicky … Danke!«
Danke: Was für ein kleines, einfaches Wort und doch kann man einen superglücklich damit machen. Danke – so wie er es sagt, so zärtlich und aufrichtig, klingt es auch richtig dankbar.
|231| »Dein Leben gegen meins, ich hab nur meine Schulden bezahlt«, antworte ich.
Er legt seine Hand auf meine.
Es gibt manchmal Beleidigungen, die einen völlig kalt lassen, Umarmungen, die einem nur lästig sind, Lächeln, die einen nicht unbedingt fröhlich stimmen, und eine Hand über einer anderen Hand hat ganz oft nichts zu bedeuten … Ganz klar hängt es davon ab, wem die Hand gehört. Wenn mich seine Hand berührt, habe ich das Gefühl zu verbrennen.
Wir sehen uns noch einmal in die Augen.
Vielleicht werden wir uns eines Tages an unsere Blicke gewöhnt haben und es wird keine versteckten Anspielungen mehr in ihnen geben, aber jetzt ertrinke ich noch in dieser tiefschwarzen Tinte und frage mich, ob er durch das klare Grün meiner Augen das ganze Gedankenwirrwarr, das in meinem Kopf herrscht, sehen kann. Hoffentlich nicht!
Welcher Abstand trennt uns jetzt noch?
Vierzig Zentimeter?
Weniger … vielleicht dreißig?
Ich weiß es nicht, ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht und der Abstand zwischen uns wird immer kleiner.
Jetzt sind es zwanzig Zentimeter, vielleicht nicht mal.
Jetzt sind es nur noch zehn Zentimeter, unsere Atemzüge nehmen sich gegenseitig den Sauerstoff weg. Es fehlt nur noch ganz wenig. Wenn wir kurz mal mit den Augen klimpern, fühlen wir fast, wie die Wimpern des anderen auf unserer Wange kitzeln.
|232| Eine Weile bleiben wir so, bewegungslos, Stirn an Stirn, aber wir berühren uns noch nicht.
Das ist er, der klassische Moment, in dem man eine Wahl treffen muss, die über die weitere Zukunft entscheidet. Eine Wahl, bei der du weißt, dass du dich die nächsten Monate für deine Entscheidung verfluchen und dir nur noch über eine Frage den Kopf zerbrechen wirst: Was hätte alles passieren können, wenn du dich in diesem entscheidenden Moment anders verhalten hättest? Ehrlich gesagt gibt es fast nichts Schlimmeres im Leben, als den Momenten nachzuheulen, die es nie gegeben hat.
Entscheide dich also.
Entscheide dich, aber beeile dich. Wenn jetzt noch eine weitere Sekunde verstreicht, weißt du nicht mehr, ob du nicht doch lieber deinen Kopf rechtzeitig weggedreht hättest.
Entscheide dich jetzt.
Ich entscheide mich. Jetzt.
Null Zentimeter.
Es gibt nichts mehr zwischen uns.
Ein Kuss. Ganze Romane haben versucht, das Unmögliche zu beschreiben, und es ist ihnen nicht gelungen. Denn jeder Kuss ist so einzigartig, so ganz anders als die anderen, so schön oder auch so enttäuschend.
Ein Kuss. Ein Kuss, der nach Salz und Zucker schmeckt, nach Meer und Sonne, der nach Träumen schmeckt, nach Sternen und nach Musik. Nach den Sternen, die um dich herum explodieren, während du in diesem Kuss gefangen bist, |233| und nach der Musik, deren Noten sich in deinem Kopf für immer festsetzen.
Ein Kuss, der den Geschmack von einem erfüllten Traum hat, von einem Traum, nach dem du dich so sehr gesehnt und vor dem du dich gleichzeitig immer gefürchtet hast.
Unser Kuss.
Er dauert nur einen kurzen Augenblick, nicht mehr als ein paar Sekunden. Sekunden, die die Zeit bitten, kurz mal stehen zu bleiben.
Wir wenden
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