Die Liebe ist ein Daemon
schwacher Stimme.
»Jetzt sofort? Am Handy?«
»Nee … eigentlich stehe ich gerade vor deiner Haustür.«
Ich bin mit einem Schlag hellwach. Meine grauen Zellen setzen sich in Bewegung. Wenn jetzt meine Eltern aufwachen und mich mitten in der Nacht mit Lorenzo auf der Straße sehen, dann ist bestimmt die Hölle los.
|246| Wenn er aber hochkommt und Ginevra entdeckt ihn in der Wohnung, dann tickt wahrscheinlich sie aus.
Also gut, es ist wohl doch schlauer, runterzugehen und zu beten, dass niemand etwas merkt. Ich greife nach meiner Jacke und ziehe sie über den Schlafanzug. Dann schleiche ich ganz leise aus dem Zimmer und ziehe die Tür hinter mir zu.
Auf Zehenspitzen durchquere ich den dunklen Flur, steige die Stufen runter und sehe Lorenzo, der tief in seinen Anorak vergraben am Auto lehnt. Es ist schweinekalt.
Wir steigen in den Wagen. Mittlerweile ist er schon so was Ähnliches wie unser Beichtstuhl geworden.
Lorenzo stützt seine Hände auf das schwarze Lenkrad, spreizt die Finger und starrt vor sich hin. »Also … dann geht es ihr gut?«
Ich nicke. »Ja … einigermaßen. Sie schläft gerade, aber sie hat vorhin richtig viel geheult.«
Täusche ich mich oder sehen auch seine Augen ganz verweint aus?
Nervös umklammert er das Lenkrad. Seine Knöchel werden weiß.
»Das wollte ich nicht … Das ist doch für mich auch nicht leicht … was glaubst du denn?«
»Ich glaube gar nichts und ich verurteile dich auch nicht, dazu mag ich dich zu sehr. Aber eine Sache frage ich mich und das würde ich jetzt gerne von dir wissen …« Ich wähle meine Worte sorgfältig. »Also, was deine Entscheidung betrifft … dass du jetzt auf einmal Schluss machst … da steckt doch jemand dahinter, oder?«
|247| Er sagt nichts. Er lockert seinen Griff und streicht mit den Fingern unruhig über das Lenkrad.
»Sag schon, Lore, ist es wegen Lavinia?«, frage ich und starre jetzt auch auf meine Hände.
»Ja, das auch … ich bin nicht sicher … da kommen so viele Sachen zusammen … aber es liegt teilweise auch an ihr, ja.«
»Bist du in sie verliebt?«
»Ja … nein, ich weiß es nicht.«
»Aber du weißt, dass sie auf dich steht, oder?«
»Das ist es ja gerade.« Er schüttelt den Kopf, als ob er damit seine Gedanken in Ordnung bringen könnte. »Es ist alles so furchtbar kompliziert, so verworren. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll …«
Ich schnaube leicht, aber ich glaube ihm.
»Eigentlich geht’s ja um was ganz anderes«, sagt er nach einem tiefen Seufzer. »Weißt du, meine Eltern haben angefangen rumzunerven. Seit einiger Zeit fragen sie mich ständig nach Ginevra, sie wollen alles wissen, was wir machen, was sie mir bedeutet und vor allem wie lange das Ganze noch weitergehen soll …«
Ich bin sprachlos.
»Wirklich?«
»Ja, das geht schon länger so. Ich hab’s dir nicht erzählt, weil es mir irgendwie lächerlich vorkam.«
Er reibt mit den Fingern weiter über das Lenkrad und starrt vor sich hin.
»Aber dann hat sich auch noch mein Bruder eingemischt. |248| Anfangs hat mich das verletzt, aber dann bin ich ins Grübeln geraten … ich weiß ja, wie wichtig ich für ihn bin und dass er alles für mich tun würde.«
»Na klar.«
»Eben. Es ist schwer zu erklären. Er hat lang mit mir geredet und gesagt, dass unsere Beziehung nicht das Richtige für mich wäre und dass ich das mit der Zeit selber merken würde. Seiner Meinung nach idealisiere ich meine Gefühle und die Tatsache, dass ich glücklich bin, würde noch lange nicht heißen, dass ich die richtige Wahl getroffen habe …« Er seufzt. »Aus seinem Mund klang das einfach anders.«
Allmählich kapiere ich, was er mir sagen möchte.
»Es waren eben nicht mehr nur meine Eltern, nicht irgendwelche Erwachsene, die sowieso alles auf ihre Art sehen, sondern mein Bruder, einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, der mich mag und der mir wirklich helfen möchte.«
Ich versuche, seinem Gedankengang zu folgen: »Und er hat wirklich gemeint, dass eure Beziehung dir nicht guttun würde?«, frage ich traurig.
»Genau«, murmelt er.
Fast eine Minute lang schweigen wir. Ich brauche Zeit, um über das nachzudenken, was ich gerade gehört habe. Zeit, um das Ende ihrer Liebe unter dem Eindruck dieser neuen Erkenntnisse zu betrachten.
»Das war genau in den Wochen, als Ginevra und ich uns immer häufiger gestritten haben. Eine Menge Zweifel, die es vorher noch gar nicht gab, haben
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