Die Liebe kommt auf leisen Pfoten
es auch nur durch ein Motorrad, das an ihr vorbei fuhr. Auch bei ihrer Arbeit wurde sie von den Erinnerungen verfolgt. Es war nämlich an der Zeit, das Objekt von innen und außen zu fotografieren, das sie für die Erbengemeinschaft verkaufen sollte und sie zusammen mit Sarah angeschaut hatte. Immer wieder sah sie aus dem Fenster, in der stillen Hoffnung, dass Sarah jeden Augenblick mit Bonnie ums Eck gefahren kam und Karen alles erklären würde. Aber es kam natürlich niemand angefahren. Traurig machte sich Karen nach dem Fotografieren auf, das Wohngebiet zu Fuß zu erkunden. Sie sprach mit den Nachbarn und fragte hier und da nach, ob das eine oder andere Haus vielleicht auch bald verkauft werden sollte. Tatsächlich kam sie so mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch, die sich bald nach einer kleineren Wohnung umsehen wollten. Somit war es eigentlich ein erfolgreicher Nachmittag. Trotzdem konnte sie sich nicht so recht freuen.
Als sie abends auf ihrer Couch saß und noch eine Kleinigkeit aß, kam ihr das Haus mit einem Mal so leer vor. Sie hatte schon immer gewusst, dass es für eine Person eigentlich viel zu groß war, aber das war ihr bislang immer egal gewesen. Bis zu diesem Abend. Ihre Stimmung war auf dem Tiefpunkt und sie versank immer mehr im Selbstmitleid. Sie sinnierte, dass sie den Garten nie wirklich im Griff haben würde und das eine oder andere Zimmer im Haus nutzte sie auch nicht, außer als Abstellraum. Genau genommen, passte sie gar nicht in dieses Haus. Sie liebte zwar den Garten und fühlte sich auch sonst sehr wohl, aber hatte sie wirklich ein Recht, hier zu sein? Genau genommen war es nämlich eine Verschwendung, dass sie hier allein wohnte. Eine Familie mit Kindern würde viel besser hier rein passen oder einfach nur ein Pärchen, das sich gemeinsam um Haus und Garten kümmern konnte. Je mehr sie darüber nach dachte, desto mehr formte sich in ihr der konkrete Gedanke, sich eine neue Bleibe zu suchen. Wäre ja gelacht, wenn sie für sich nicht noch einmal ein schönes Fleckchen finden würde, wo sie sich genauso wohl fühlen würde, nur eben kleiner.
Der Gedanke ließ sie auch am nächsten Morgen noch nicht los. Von daher konnte er so falsch nicht sein. Um ihren Entschluss zu unterstreichen, hängte sie „Zu Verkaufen“ Schilder mit ihren Kontaktdaten an ihre Fenster, die zur Straße hin zeigten. Schließlich musste sie auch erst einen potentiellen Käufer finden, bevor sie sich etwas Neues suchen konnte. Diesmal vielleicht doch nur eine Wohnung. Sie hatte zwar wenig Hoffnung, dass jemand durch die Schilder auf ihr Haus aufmerksam wurde, weil sie in keiner belebten Straße wohnte, aber vielleicht würde es sich durch Mund zu Mund Propaganda herum sprechen. Tatsächlich wurde sie schon am nächsten Tag von einem ihrer Nachbarn darauf angesprochen. Er war überrascht, dass sie verkaufen wollte und fragte sie nach dem Grund. „Ich fühle mich hier sehr wohl, aber es ist einfach zu groß für mich alleine“, sagte sie freundlich und hoffte, dass er nicht nachbohren würde, was er auch nicht tat.
Abends telefonierte sie mit Anita und hörte sich den neuesten Klatsch und Tratsch an. Über ihre Verkaufspläne schwieg Karen allerdings. Anita würde bestimmt nicht begeistert sein und sie hatte keine Lust auf eine Diskussion mit ihr am Telefon. Dafür verabredeten sie sich für das Wochenende. Anita wollte mit ihrer Tochter zu Besuch kommen.
„Wir bringen den Kuchen und Du stellst Terrasse und Garten zur Verfügung“, schlug Anita vor.
„Und für das gute Wetter sorge ich auch noch“, versprach Karen.
„Dann kann nichts schief gehen“, meinte Anita und verabschiedete sich.
Als Anita ein paar Tage später vor Karens Haustür stand, drückte sie ihr den Kuchen in die Hand, schob ihre Tochter ins Haus und zeigte Karen den Vogel. „Sag mal, hast Du sie noch alle?“, brach sie gleich los, ohne Karen zu Wort kommen zu lassen. „Wann hattest Du bitte schön vor, mir zu erzählen, dass Du das Haus verkaufen willst? Wo willst Du denn hin? Und warum überhaupt?“
„Das wollte ich Dir heute erzählen, aber jetzt setz Dich erst einmal.“
Julia kümmerte sich nicht um die Erwachsenen. Sie stürmte an ihnen vorbei in den Garten, wo von den Vorbesitzern noch eine Schaukel stand.
„Es ist einfach so“, erklärte Karen, nachdem sie den Kuchen angeschnitten und verteilt hatte, „das Haus ist nun mal zu groß für mich. Schau Dir den Garten an. Ich komme kaum hinterher. Und wie viele
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