Die Liebe Und Wie Sich Leidenschaft Erklaert
so ist, ob sich das Einfühlungsvermögen also mit den Jahren bessert, gab ein Psychologenteam der Universität von Canterbury in Neuseeland Sillars Methodik eine weitere Drehung: Nun sollten die Ehepaare nach dem Streit nicht nur die eigenen Gefühle und Gedanken kommentieren, sondern auch darüber spekulieren, was während des Wortgefechts wohl in ihrem Partner vor sich gegangen war.
Anschließend verglichen die Forscher die Aussagen, die der Ehepartner über sich selbst gemacht hatte, mit den Annahmen seines Lebensgefährten. Daraus konnten sie schließen, wie gut der Partner im Stande war, die Regungen des anderen richtig zu deuten. 74 Ehepaare nahmen an der Untersuchung teil. Manche waren erst seit kurzem zusammen, bei anderen lag die Hochzeit schon viele Jahre zurück.
Es zeigte sich ein erstaunliches Ergebnis: Je länger die Paare verheiratet waren, desto weniger wussten sie, was im Kopf des anderen vor sich ging. Es war, als hätten die Ehepartner im Laufe der Jahre eine Art »Das-kenne-ich-doch-schon-längst«-Standpunkt eingenommen. Sie glaubten, genau zu wissen, was ihr Lebensgefährte
denkt und fühlt. Gerade diese vermeintliche Gewissheit hinderte sie daran, ihrem Partner noch wirklich zuzuhören. Sie bemühten sich erst gar nicht, ihn zu verstehen. Sie redeten nicht mehr miteinander, sondern aneinander vorbei. [249]
Der erste apokalyptische Reiter: Kritik
In dem Maße, in dem in einer Beziehung die Gewohnheit um sich greift, wächst die Gefahr, dass die fünf »apokalyptischen Reiter« am Horizont auftauchen und in das Eheleben einbrechen. So nennt der Forscher Gottman die Formen von negativem Verhalten, die so giftig für eine Partnerschaft sind, dass sie, wenn man nicht beizeiten aktiv gegensteuert, die Beziehung Schritt für Schritt ruinieren. [250]
Wenn Ihnen nun der eine oder andere Untergangsbote bekannt vorkommen sollte, müssen Sie nicht gleich befürchten, Ihre Beziehung stünde vor dem unweigerlichen Aus. Und doch ist es wichtig, dass Sie die apokalyptischen Reiter erkennen und aus Ihrem Beziehungsleben verbannen. Es ist wie mit dem Rauchen: Wenn Sie Glück haben, werden Sie davon nie krank, dennoch ist es schädlich, und deshalb lohnt es sich, damit aufzuhören.
Der erste apokalyptische Reiter lautet Kritik. Er kommt eher leise angetrabt.
Nehmen wir Lisa und Lukas als fiktives Beispiel. Als sie sich kennen lernten, hatten beide, wie üblich, ihre eigenen Wohnungen. Ab und zu, wenn Lisa Lukas in diesen Zeiten besuchte, war ihr bereits das Chaos in seiner Wohnung aufgefallen. Umgekehrt bemerkte Lukas durchaus, dass es in ihrem Apartment stets pikobello aussah – Lisa musste wohl einen Putzfimmel haben.
Nach etwa einem Jahr zogen die beiden zusammen. Schon ergaben sich die ersten Irritationen, weil Lisa es nicht im Geringsten gemütlich fand, wenn Lukas seine Socken in sämtlichen Ecken des Wohnzimmers liegen ließ. [251]
Anfangs gelang es ihr noch, ihrem Ärger in Form einer Beschwerde Luft zu machen. »Weißt du«, sagte sie dann, »es stört
mich echt, wenn ich deine Socken hinter dir aufräumen muss. Kannst du vielleicht selbst auch mal drauf achten?«
Später aber, nachdem sie wiederholt Lukas’ Socken, Hemden, Handtücher, Bücher, Kaffeetassen, Zeitungen, Stifte und Biergläser hatte auflesen müssen, war es mit der Freundlichkeit vorbei. Dann platzte es plötzlich aus ihr heraus: »Und wieder liegen überall deine Socken rum! Immer muss ich alles hinter dir aufräumen! Du bist so ein Dreckhammel! Kannst du denn nie selbst mal was machen?«
Da die behutsamen Beschwerden nicht gefruchtet hatten, ist es nur verständlich, dass Lisa irgendwann zu dieser harschen Kritik überging. So hatte sich der erste Untergangsbote in ihre Ehe geschlichen.
Aber was ist so schlimm an einer Kritik im Gegensatz zu einer Beschwerde? Während eine Beschwerde eine Handlung angreift (»du hast die Socken liegen lassen«), attackiert eine Kritik im Sinne Gottmans die Person (»du bist ein Dreckhammel«). Die Beschwerde beschränkt sich auf eine konkrete Situation, auf das Hier und Jetzt, Kritik ist allumfassend. Das Standardvokabular des Untergangsboten Kritik hört sich entsprechend an: »immer«, »nie« und »wieder mal«.
Eine andere Satzkonstruktion, die ebenfalls Kritik einleitet und jeden Partner verletzt, lautet: »Das Problem mit dir ist...« [252] Dazu ein Beispiel:
Beschwerde: »Du hast jetzt während des Abendessen nur von dir und deiner Arbeit gesprochen und nicht einmal gefragt, wie
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