Die Liebe verzeiht alles
Onkel fast ein Leben lang begleitet. Sie besaß für Lilah einen ungeheuren Erinnerungswert. „Woher hast du sie? Wir haben sie nach seinem Tod überall gesucht und schließlich geglaubt, sie wäre gestohlen worden.“
Lilah blickte auf und sah Gus an. War er verärgert, weil sie ihre Gefühle gezeigt hatte? So hart und anklagend kannte er sie gar nicht.
Seine Miene drückte Feindseligkeit aus.
Im nächsten Moment schlug sie die Hände vor den Mund. Oh, nein! Hatte etwa Gus die Uhr entwendet? Am Ende hatte er Lilah gehasst und Harm ebenfalls. War seine Wut so groß gewesen, dass er deshalb den einzigen Menschen verriet, der ihm geholfen hatte?
Sie brauchte nichts zu sagen. Gus wusste, was sie dachte, und musterte sie noch kühler. „Bravo, Lilah! Nimm doch gleich das Schlimmste an, bevor du mir überhaupt eine Frage stellst.“ Bitter lachte er auf. „Vermutlich hätte ich es kommen sehen müssen.“
„Das ist nicht fair.“ Sie hatte immer an ihn geglaubt. Selbst nachdem er mit dem kurzgeschlossenen Auto in Mr. Hertzogs Lebensmittelladen gekracht war. Onkel Harm hatte ihn verhaften müssen, und trotzdem war ihr erster Impuls gewesen, vehement zu bestreiten, dass Gus etwas Falsches getan haben könnte. „Ich habe nie das Schlimmste von dir angenommen. Ich war auf deiner Seite …“
„Wenn wir unter uns gewesen sind.“ Er ließ den Blick über sie schweifen. „Ja, wenn wir allein waren, musste ich mir nie Gedanken über deine Loyalität machen. Das ist immerhin schon etwas.“ Er beugte sich so nah zu ihr, dass sie seinen Atem auf ihren Wangen spürte. „Ein Junge kann sich als Mann fühlen, wenn sein Mädchen nachts in seine Arme eilt“, sagte er leise, aber mit Schärfe. „Aber ein Mann weiß, dass nur die Frau seine Liebe wert ist, wenn sie ihn am helllichten Tag verteidigt. Und man kann niemanden verteidigen, wenn man noch nicht einmal zugibt, dass man sich mit ihm trifft.“ Er richtete sich auf, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. „Ich war alles, was du wolltest, solange wir allein waren. Aber ich war nicht gesellschaftsfähig, oder, Lilah?“
„Wir beide wollten die Beziehung für uns behalten“, erinnerte sie ihn und bekämpfte die Scham, die sie empfand. Auch ihr war der Unterschied zwischen „für sich behalten“ und „geheim halten“ absolut klar. Was wäre gewesen, wenn sie darauf bestanden hätte, dass sie ihre Freundschaft publik machten?
Seit sie denken konnte, hatte sie versucht, sich so zu geben, dass man sie mochte und akzeptierte. Die Beziehung mit Gus war ein Problem gewesen, denn sie hatte nicht in das Bild gepasst, das Lilah ihrer Umgebung von sich vermittelte. Ihr war keine Lösung eingefallen, und deshalb hatte sie ein Doppelleben geführt – eines in der Öffentlichkeit und eines mit ihm. Und Gus hatte behauptet, dass auch er ihre Freundschaft lieber für sich behielt. Sie hatte ihm geglaubt, weil es dadurch leichter für sie gewesen war.
Aber was wäre gewesen, wenn sie ihn ermutigt hätte, sich seinen Ängsten zu stellen? Wenn sie die Kleinstädter herausgefordert hätte, den Jungen, den sie liebte, zu akzeptieren? Es musste sehr schmerzlich für ihn gewesen sein, ein Außenseiter zu bleiben, obwohl die Freundin ihn eventuell in die Gemeinschaft hätte einführen können.
„Das war vor langer Zeit“, rechtfertigte sie sich. „Wir waren noch Kinder.“
„Aber wir haben uns wie Erwachsene wehgetan.“
Ja, und nicht nur einmal. Nachdem Onkel Harm ihr befohlen hatte, Gus bei der Auswahl der Kleidung zu helfen, war sie ziemlich wütend an die Arbeit gegangen. Allerdings hatte sich Gus auch kaum freundlicher benommen. Während sie den Inhalt des Kartons sichtete, hatte er desinteressiert mit einem Stein gespielt. Aus Gemeinheit hatte sie ihm dann mehrere zu kleine T-Shirts und Hosen eingepackt. Darin war er am Montag in der Schule erschienen, als hätte er nicht bemerkt, dass sie nicht passten.
Natürlich war er ausgelacht worden. Woraufhin er seelenruhig eine Zigarette aus der Tasche geholt, sie angezündet und mit einem Nicken in Richtung Lilah gesagt hatte: „Erzählt das meiner Modeberaterin.“
Noch vor Ende des Unterrichts war er von der Schule verwiesen worden, weil er auf dem Gelände geraucht hatte. Und als Harm zu Ohren gekommen war, dass Gus zu kleine Sachen getragen hatte, war er scharf mit Lilah ins Gericht gegangen.
In den nächsten zwei Jahren hatten Gus und sie sich nach Möglichkeit gemieden. Allerdings war sie ihm gelegentlich in
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