Die Liebe verzeiht alles
einer Ecke des ordentlich aufgeräumten Glasschreibtisches stand ein Zimmerbrunnen.
„Sag mal, warum gestaltet man einen Raum, den niemand sieht, völlig um, vernachlässigt aber ein Lokal, dem eine Renovierung nicht schaden könnte?“
Gus zog sie ins Büro und schloss die Tür. „Nicht jeder legt Wert auf den äußeren Schein. Integrität heißt, dem treu zu bleiben, was dir etwas bedeutet.“
Integrität? Dass sie nicht lachte! Lilah setzte sich auf den eleganten schwarzen Schreibtischstuhl, schlug die langen Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du gibst dich moralisch und idealistisch, wenn es dir in den Kram passt, oder?“ Wütend sah sie ihm ins Gesicht. „Möchtest du über Integrität reden? Nur zu. Fang damit an, was vor zwölf Jahren war. Nein, was vor zwölf Jahren und neun Monaten war. Klär mich auf, was du noch anderes gemacht hast, als ein unschuldiges junges Mädchen in dein Bett zu locken unter dem Vorwand, es zu lieben?“
„Kannst du mir einen Tipp geben, wovon du sprichst?“
„Vielleicht von deinem zwölfjährigen Sohn, mit dem du vorhin in der Bäckerei warst?“, antwortete Lilah und fuhr fort, als Gus sie erstaunt ansah: „Ich habe zufällig gehört, wie du sein Alter genannt hast. Die Bäckerei ist klein. Und rechnen kann ich auch.“
Nachdem er sich von der ersten Überraschung erholt hatte, schüttelte er lächelnd den Kopf. „Worauf willst du hinaus?“
Du hättest ihn nicht damit konfrontieren sollen, solange du noch so wütend bist, dachte sie, während sie aufstand. Doch sie hatte noch nie gut abwarten können. Sie machte zwei Schritte auf Gus zu und stemmte die Arme in die Hüften. „Ich will darauf hinaus, dass ich mich über zehn Jahre schlecht gefühlt und geschämt habe, weil ich dich vor meinen Freundinnen verleugnet habe. Aber du dagegen bist falsch wie eine Schlange. Du hast verletzt und gekränkt reagiert, obwohl du mich wer weiß wie lange hintergangen hast. Ich dachte, ich hätte dein Leben ruiniert.“
„Tut es dir leid, dass dem nicht so ist?“, fragte er seelenruhig, was sie nur noch wütender machte.
„Natürlich nicht. Aber ich will etwas ganz anderes sagen. Du bist ein Betrüger. Und zudem hast du mich all die Jahre glauben lassen, ich wäre von uns beiden das Miststück gewesen.“
Gus zuckte die Schultern. „Wenn der Schuh passt.“
Lilah hob einen Arm und ballte die Hand zur Faust. Nicht, dass sie beabsichtigte, ihn zu schlagen. Doch allein schon die Vorstellung verschaffte ihr eine gewisse Erleichterung.
„Du hast zwei falsche Schlussfolgerungen gezogen, Lilah.“
„Inwiefern?“
„Du nimmst an, Elan wäre mein leiblicher Sohn und ich ein Lügner. Beides ist falsch.“
Gus sah qualvolle Unsicherheit in ihren Augen, in denen sich eben noch Wut gespiegelt hatte. Offenbar bestürzte und verletzte die Vorstellung sie tief, dass er ihr untreu gewesen sein könnte. Die Erkenntnis tat ihm unendlich gut, denn seit Jahren hatte ihm die Frage auf der Seele gebrannt, ob Lilah seine Liebe überhaupt erwidert hatte. Nun hatte er Gewissheit. Sie hatte ihn geliebt.
„Was soll das heißen, er ist nicht dein leiblicher Sohn? In der Bäckerei hat er dich Dad genannt.“
„Ja, das stimmt. Ich bin sein Pflegevater und hoffe, dass Karen und ich ihn nach unserer Hochzeit adoptieren können.“
Schlagartig wurde Lilah die Sachlage klar: Elan war nicht etwa ein Beweis dafür, dass Gus sie betrogen hatte, sondern viel eher dafür, dass er sich weiterentwickelt hatte. „Ich habe mich gerade total blamiert“, stieß sie peinlich berührt hervor.
Gus beobachtete, wie sie vor Verlegenheit errötete, was ihn schon früher nie kalt gelassen hatte. „Ich werde es niemandem erzählen“, antwortete er und bemerkte zum ersten Mal die dunklen Ränder unter ihren Augen und die hervorstehenden Schulterknochen. „Was hast du in den letzten zwei Wochen gemacht? Du siehst schrecklich aus.“
„Vielen Dank. Nachdem ich mich total blamiert habe, tut es richtig gut zu hören, dass ich auch noch schrecklich aussehe. In Los Angeles würde ich nach einem Tag wie heute eine monatelange psychologische Behandlung brauchen.“
Gus musste lächeln. Diese Art von Humor war ihm neu an ihr. „Wann hast du zuletzt etwas Anständiges gegessen? Oder bist du gerade auf irgendeiner Hollywood-Diät mit Weizenkleie und geschältem Reis?“
„Wohl kaum“, spöttelte sie und tätschelte ihre Hüfte. „Ich bevorzuge Müsli-Riegel und Diät-Cola, um mir
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