Die Liebe zu Rosen mit Dornen
Gang entlangkommt, an den anderen Tischen stehen bleibt und sich auf ihrem Klemmbrett Notizen macht.
»Meine Mutter sagt, ich werde es noch bereuen. Sie geht dauernd ins Fitnessstudio.« Reumütig betrachtet Riley die halb volle Dose in ihrer Hand. »Sie meint, an meinem sechzehnten Geburtstag wird man es meinen Hüften ansehen.«
Ich suche nach etwas ansatzweise Freundlichem, was ich über Becky sagen könnte. »Deine Mutter weià auch nicht alles, Riley.«
Sie wirkt überrascht. »Weià ich doch.« Sie dreht die Dose in ihrer Hand. »Ich hatte zu Hause viel Bewegung. Da, wo wir gewohnt haben. Ãberall bin ich zu Fuà hingelaufen.«
Ich versuche, mir vorzustellen, wie sie gewohnt haben. Ich kann es nicht, weil ich nie da war. Meine Schwester ist mir im Grunde fremd. So sollte es nicht sein.
»Ich bin gespannt, wo wir wohnen, wenn sie wieder da ist.« Riley trinkt ihre Dose aus.
Da bin ich auch gespannt. Ich reibe mein Nasenbein unter der Brille, weil sie mich plötzlich kneift. »Wirf das bitte in den Recyclingmüll.«
Schon wieder ist Riley bedrückt. Ich lege ihr einen Arm um die Schulter. »Hey. Deine Mutter tut, was sie kann. Da bin ich mir ganz sicher. Und das alles macht deine College-bewerbung um einiges interessanter als bei den Kindern, die ihr ganzes Leben im selben Haus verbracht haben und nie irgendwas tun mussten.«
»Kann sein.« Sie steht auf, nimmt ihre Getränkedose und macht sich auf die Suche nach einer Recyclingtonne.
Drei weitere Juroren folgen Miss Lansing, zwei Männer und eine Frau, die alle schon im Rentenalter zu sein scheinen. Das sind â demografisch gesehen â die meisten, weil sie die Zeit, die Bereitschaft und die finanziellen Möglichkeiten haben, sich der Rosenzucht zu widmen.
Miss Lansing bleibt an Byrons Tisch stehen. Ihr schallendes Gelächter dringt durch das Stimmengewirr. Ich verziehe das Gesicht.
Riley setzt sich hin. »Diese Frau ist laut«, bemerkt sie, als sie meinem Blick folgt.
»Sie ist eine der Jurorinnen. Sei nett.«
»Ich bin immer nett.« Grinsend schlägt Riley die Beine übereinander.
»Dann eben besonders nett. So nett, als stündest du vor der Queen.« Ich bin total gespannt, strotze vor Energie.
»Oha. Sollte ich einen Hofknicks machen?«
Ich nehme an, sie scherzt, bin mir aber nicht ganz sicher. Ich lasse es darauf ankommen. »Wenn es sein muss.«
Miss Lansing nähert sich uns. Riley entscheidet sich für eine leichte Verbeugung, bei der sie die Handflächen aneinanderlegt, wie eine Japanerin. Miss Lansing mustert sie argwöhnisch.
»Meine Liebe! Wie geht es Ihnen?« Sie presst ihre kalte Wange an meine. Sie fühlt sich an wie meine alten Lederstiefel. Bestimmt habe ich jetzt Reste von Puder und Rouge im Gesicht.
»Sehr gut, Miss Lansing.«
Mitfühlend seufzt sie: »Den Umständen entsprechend, vermutlich. Was sind Sie doch für eine tapfere, kleine Frau!« Sie wendet sich den anderen Juroren zu. »Die Ãrmste braucht eine neue Niere.«
Ich werde rot.
»Ich würde Ihnen eine abgeben, aber ich habe selbst nur eine«, flötet der flotte Herr im grauen Sakko.
»Wir anderen sind zu alt«, meint Miss Lansing.
Ich hasse dieses gönnerhafte Mitleid. Damit fühle ich mich tausendmal schlechter als an meinem allerschlechtesten Tag. Wenn ich sage, dass es mir gut geht, wünschte ich, die Leute würden antworten: »Mir auch. Das Leben geht weiter«, denn das ist genau das, was ich will. Einfach weiterleben.
Inzwischen sieht Miss Miesepeter gar nicht mehr so miesepetrig aus, eher als wollte sie mich in die Arme schlieÃen. Ich könnte ihr eine reinhauen.
Miss Lansing dreht die G42 hin und her. »Dieselbe Rose wie in San Luis Obispo, wie ich sehe.« Majestätisch schweift ihr Blick über den Tisch. »Haben Sie denn zufällig noch eine andere Rose dabei, Gal?«
»Nein.« Das sieht sie doch. Riley richtet sich auf.
Miss Lansing klimpert mit ihren falschen Wimpern. »Leider fällt diese Rose nicht in die Kategorie der Neuen Sorten, Gal.«
In meinem Kopf, in dem sich ohnehin alles dreht, kreisen die Gedanken immer schneller, bis es sich anfühlt, als wäre ich gerade von einem Jahrmarktskarussell gestiegen. »Ich verstehe nicht.«
Miss Lansing beugt sich vor. Die anderen Juroren, die offenbar alle Bescheid wissen, schlurfen zum nächsten Tisch.
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