Die Liebe zu Rosen mit Dornen
Herren. Ich danke Ihnen, dass Sie zur letzten Schüler-Lehrer-Begegnung ihrer glorreichen Zeit an der St. Markâs gekommen sind.«
»Hat er getrunken?«, wispere ich Dara zu. Sie bringt mich zum Schweigen.
Dr. OâMalley zwinkert. Er zwinkert mir tatsächlich zu. Die Schüler kichern. »Und nun unsere hochverehrte Miss Garner. Kommen Sie, geben Sie uns die Ehre!« Er winkt mich zu sich. Die Schüler klatschen unentschlossen.
Ich nehme das groÃe Messer und die Gabel. Langsam schneide ich kleine, dünne Scheiben ab. Das Fleisch ist überraschend zart und rosa. Dampf steigt auf. »Reicht mal die Teller durch«, sage ich.
Dr. OâMalley legt seine Hand auf meine. »Miss Garner. Die Auszeichnungen, nicht das Fleisch. Erst die Auszeichnungen.«
»Oh, ich dachte, alle hätten Hunger.« Ich hebe die Hände und sehe zu den Schülern hinüber. Wenn ich schon quasi das Sagen habe, dann will ich aber auch ganz das Sagen haben. »Tun Sie ihnen was auf die Teller, und wir plaudern beim Essen. Wir wollen doch nicht, dass alles kalt und trocken wird.«
»Yeah!« Brad reckt die Faust. Die anderen Schüler jubeln.
Ich recke ebenfalls die Faust. »Hunger, Hunger, Hunger!«
Hilflos mustert mich Dr. OâMalley. Ich fange wieder an zu schneiden, gröÃere Stücke diesmal, und klatsche sie auf die Teller. Ich grinse. »Ganz ruhig, Doc. Alles unter Kontrolle.«
Er reicht mir einen Teller. »Heute werde ich zwei Stücke brauchen.«
»Sie sollten auf nüchternen Magen lieber nicht trinken.« Ich lege ihm zwei dicke, fette Scheiben auf den Teller. »Hoffentlich haben Sie Ihre Cholesterintabletten genommen.«
Er fängt an zu lachen. Das ehrlichste Lachen, das ich je von ihm gehört habe. Mir gegenüber jedenfalls. »Diese Portion sollten Sie lieber einem der jüngeren Männer geben.«
Nachdem die Desserts geplündert sind und der Kaffee bis zum letzten Tropfen ausgetrunken ist, verabschieden sich die Schüler nach und nach. Nur wir Alten, die am Freitagabend nichts Besseres zu tun haben, bleiben da und plaudern.
Brad kommt zu mir herüber, als ich in einem der Polstersessel bei den Fenstern sitze. »Miss Garner.« Er reicht mir die Hand. Ich schüttle sie. »Vielen Dank für alles.«
»Du bist ein tüchtiger junger Mann, Brad, und wirst es weit bringen.« Ich höre mich an, als wäre ich hundert Jahre alt, aber das ist mir egal. »Komm mich doch noch mal besuchen, bevor du aufs College gehst.«
»Mach ich.« Er nickt, und seine blonden Haare fallen ihm in die Augen. »Ich muss los.«
»Okay.« Eine gewisse Sehnsucht nach alten Zeiten überkommt mich, als ich ihm hinterhersehe. Letztes Jahr hätte ich gewusst, was er im Sommer vorhat, was sein Hauptfach werden soll, wie er die Gefahr durch Rosenmilben einschätzt. Er war mir eher wie ein Neffe. Jetzt ist er mir fremd. Es ist, als hätten wir uns nie nahegestanden. Vielleicht stimmt das auch.
»Sie sehen so nachdenklich aus.« Mr Morton sitzt in dem anderen Sessel. Zwischen uns steht ein kleiner, runder Marmortisch, darauf eine groÃe Lampe, hinter der im Grunde nur sein Kopf zu sehen ist.
In Gedanken bin ich noch bei Brad. Ich vergesse immer, dass ich Mr Morton nicht so mögen sollte. »Haben Sie schon mal gedacht, dass Sie jemanden gut kennen?« Ich wische etwas Klebriges von meinen Händen. Hoffentlich habe ich es mit dem Essen nicht übertrieben. »Ich meine, dass Sie mit jemandem befreundet sind und er Ihnen gegenüber immer offen war, und dann stellt sich raus, dass Sie ihn gar nicht richtig kennen? Dass er Sie gar nicht für einen so guten Freund hält, wie Sie dachten?« Ich meine Brad. Und Byron. Wahrscheinlich so ziemlich alle, die ich je gekannt habe.
Er runzelt die Stirn. »Absolut.« Er lächelt betreten und hält seinen unberingten Ringfinger hoch. »Zum Beweis habe ich das hier. Man sieht immer noch, wo er war.«
Ich nehme seine Hand, um sie genauer zu betrachten. Die schwachen Umrisse eines Rings sind zu erkennen. »Sieht aus, als hätten Sie ihn erst vor wenigen Minuten abgenommen. Die Frauen werden glauben, Sie wollen sie hinters Licht führen.«
Seine Hand fühlt sich ungewöhnlich rau an â für einen Lehrer. Ich lasse sie los.
»Ja.« Er nimmt einen Schluck aus dem weiÃen Kaffeebecher in seinen Händen. »Sie hat mich
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