Die Liebe zu Rosen mit Dornen
vermute, dass sie noch etwas anderes gemacht haben, als nur Haare zu färben. SchlieÃlich sind sie Teenager. Brad scheint mir kein Junge zu sein, der sich mit Haarefärben zufriedengibt. Obwohl ich in dieser Hinsicht auf keine persönliche Erfahrung mit Männern zurückgreifen kann, habe ich es doch oft genug in meiner Klasse erlebt und natürlich auch bei meiner Schwester. Missbilligend schürze ich die Lippen, doch er lächelt nur mit reinster Unschuldsmiene.
»Wir mussten erst das Schwarz rausbleichen, um danach färben zu können.« Samantha ist stolz auf sich. »Es sind zwei Arbeitsschritte.«
»Du klingst, als würdest du etwas davon verstehen.«
Sie zuckt bescheiden mit den Schultern. »Ich mache allen meinen Freunden die Haare.«
»Mein Dad ist der Einzige, dem das Chaos im Bad egal ist«, sagt Brad.
»Verstehe.« Ich reiÃe meinen Blick von dem Jungen los. »Samantha, deine Mutter möchte, dass du nach Hause kommst.«
Sie erstarrt vor Schreck.
»Ja, ihr solltet eure Geschichten vielleicht besser aufeinander abstimmen, bevor ihr sie erzählt.« Ich deute mit dem Kopf auf meine Nichte. »Ich musste bei deiner Mutter anrufen, weil ich Riley gesucht habe.«
»O ScheiÃe«, stöhnt Samantha. Sie läuft weg und taucht mit einem Rucksack und einem Arm voller Bücher wieder auf.
»Und wie viel habt ihr gelernt?« Ich sehe Brad an, dann Riley. Sie starrt zur Wand.
Brad sieht mich an. »Müsste reichen.«
»Was haben Sie meiner Mutter gesagt?« Samantha packt etwas grob meinen Arm. Ich nehme ihre Hand weg.
»Dass ich dich abhole.«
»Bitte verraten Sie ihr nicht, wo ich war.« Samanthas Augen sind gerötet. »Bitte.«
Entschlossen weiche ich zurück. »Samantha, ich kann das nicht vor deiner Mutter verheimlichen. Komm schon. Gehen wir.«
»Sie verstehen nicht!« Sie stellt sich hinter Brad. »Sie wird mich umbringen!«
Diese Teenies. Immer so theatralisch. Ich sehe sie mir an, wie sie da hinter Brad steht, der beide Arme hebt, als wollte er sie beschützen. Auch Riley stellt sich hinter ihn, hinter Samantha. Ich frage mich, welcher Art die Beziehung der Mädchen zu Brad eigentlich ist. »Bestimmt nicht.« Zu lügen, einen Jungen zu Hause zu besuchen und ihrer Familie vor einer Lehrerin Schande zu machen wird sicher nicht gut aufgenommen. Einen Moment erweicht sich mein Herz. Dann reiÃe ich mich zusammen. »Gehen wir.« Ich treibe Riley und Samantha in meinen Wagen. Samantha sitzt hinten und lässt den Kopf hängen. Wie ein schwarzer Wasserfall hängen die Haare vor ihrem Gesicht.
Am Montag sehe ich, dass Brad für sich allein geht. Samantha folgt einige Schritte dahinter, dazwischen mehrere andere Schüler. Dann Riley, genauso. Sie laufen im Flur an mir vorbei, ohne aufzublicken, und gehen weiter zur angrenzenden Kirche, um an unserer monatlichen Schulmesse teilzunehmen.
Samanthas Mutter zeigte keine erkennbare Reaktion, als ich ihre Tochter bei ihr absetzte. Sie hat sich nur bei mir entschuldigt. Samantha stand mit gesenktem Blick schweigend neben ihrer Mutter.
»Ist ja nichts passiert«, sagte ich, obwohl ich sehr wohl fand, dass Riley einen Rüffel oder eine Strafe verdient hatte, weil sie gewesen war, wo sie nicht sein sollte, und länger weggeblieben war, als ich ihr erlaubt hatte. Ich ging davon aus, dass Samanthas Mutter nichts Schlimmeres tun würde als ich, und machte mich mit Riley auf den Weg.
Mir war noch immer keine angemessene Strafe für meine Nichte eingefallen. Nicht weil sie sich die Haare gefärbt hatte, sondern weil sie viel länger weggeblieben war, als sie durfte, mir nicht gesagt hatte, wo sie sich befand, und nicht auf meine Anrufe reagiert hatte. »Du bist minderjährig. Was du tust, fällt auf mich zurück«, sagte ich am nächsten Tag mehrmals zu ihr.
»Ich weiÃ, ich weië, entgegnete Riley kleinlaut.
Jetzt schiebe ich mich in eine der hinteren Holzbänke und nehme das gepolsterte Kniekissen. Die nächsten Schüler sitzen sechs Reihen vor mir, aber ich habe im Moment keine Aufsicht, und ich brauche eine Pause. Die Kirche ist ein moderner Bau aus den Sechzigern, mit Eiche und Mahagoni getäfelt, und wird sowohl von der örtlichen Gemeinde als auch von unserer Schule genutzt. GroÃe, klare Fenster ragen wie Pyramiden in den blauen Himmel über der Kanzel auf. An den
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