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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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auf. »Das war keine schlechte Geschichte, Tania.«
    »Nicht schlecht? Das ist alles? Dann erzähl du mir doch mal eine!«
    »Ich kann keine Geschichten erzählen.«
    »Ja, da hast du Recht. Wenn du etwas erzählst, übertreibst du immer gleich. Trotzdem, versuch es mal.« »Gut.« Alexander setzte sich mit gekreuzten Beinen hin und begann: »Es war einmal ein schönes Mädchen ...« Er blickte Tatiana an. »Ein Mädchen wie kein anderes. Und ein Ritter hatte das Glück, von ihr geliebt zu werden. Der Ritter musste jedoch ausziehen, um das Königreich vor Eindringlingen zu schützen.«
    Alexander schwieg. »Und er kam nicht wieder zurück. Das Mädchen wartete eine angemessene Zeit auf den Ritter ...«
    »Was ist denn angemessen?«
    »Ich weiß nicht. Vierzig Jahre vielleicht?«
    »Sei ernst.« Tatiana kniff ihn ins Bein.
    »Autsch! Aber schließlich mochte sie nicht länger warten und gab sich dem Schlossherrn hin.« »Und der hat sie nach vierzig Jahren noch gewollt?« »Doch dann kam überraschend ihr Ritter zurück und musste feststellen, dass sein Mädchen jetzt die Schlossherrin war, die es mit jemand anderem trieb ...« »Wie in Puschkins Eugen Onegin«, warf Tatiana ein. »Ja, aber anders als Onegin forderte der Ritter, der sich wie ein Idiot vorkam, den Schlossherrn zum Duell heraus, kämpfte um die Ehre der Frau und verlor. Er wurde vor ihren Augen gerädert und gevierteilt. Sie tupfte sich mit ihrem seidenen Taschentuch eine einzelne Träne ab, weil sie sich nur noch schwach an das Land des Flieders erinnerte, in dem sie einst gelebt hatten, dann zuckte sie beiläufig mit den Schultern und ging Tee trinken.« Alexander lachte. »Siehst du, das ist eine Geschichte!« »Ja«, erwiderte Tatiana, »eine dumme Geschichte.«

    »Was hast du eigentlich alles in deinen Taschen, großer Mann?«, fragte Tatiana eines Sommernachmittags, während sie am Flussufer auf der Decke saß und vorsichtig seinen Rucksack und seine Kartentasche ausräumte. Tatiana hatte Durst. Seit Tagen schon war es so heiß, dass sie in der Nacht kaum schlafen konnten, und ständig waren sie in Schweiß gebadet. Alexander zersägte gerade Holzstämme. »Nichts Besonderes«, erwiderte er. Tatiana holte seine halbautomatische Pistole heraus, seinen Stift und Papier, ein Päckchen Karten, zwei Bücher, zwei Schachteln Munition, sein Armeemesser, mehrere Landkarten und zwei Handgranaten.
    Sie wollte sich gerade in die Landkarten vertiefen, als Alexander zu ihr trat und ihr die Handgranaten wegnahm. »Lass uns lieber nicht mit explosivem Material herumspielen«, sagte er. »Na gut«, erwiderte sie und sprang auf. »Ach, Shura, ich wünschte, du müsstest nicht mit solchen Waffen umgehen«, fuhr sie fort und umarmte ihn. »Kann Oberst Stepanow dich nicht als Kurier einsetzen? Sag ihm doch, dass du ein nettes Mädchen geheiratet hast, das ohne seinen Soldaten nicht leben kann.« »In Ordnung, das sage ich ihm«, erwiderte er. Tatiana nahm ihm die Säge ab, warf sie zu Boden und zog Alexander zur Hütte.
    »Ich bin noch nicht fertig!«, protestierte er und wies auf seine Baumstämme.
    »Ach nein? Aber du bist doch mein Mann, oder nicht?« »Ja. Warum?«
    »Habe ich dann nicht auch unveräußerliche Rechte?«
    Tatiana saß nackt auf Alexander und stützte sich mit den Händen auf seiner Brust ab. »Wie funktioniert eigentlich ein Mörser?« »Was genau willst du wissen?«
    »Hat er ein kurzes Rohr wie eine Kanone oder ein langes?« »Ein langes.«
    »Und was macht man damit?« »Du stellst es in einem Winkel von fünfundvierzig Grad auf und schiebst eine Granate hinein. Sie fällt auf den Zünder, der Treibsatz explodiert und ...«
    »Ich weiß schon. Die Granate fliegt mit siebenhundert Metern pro Sekunde heraus.« »So ungefähr.«
    »Also, mal sehen, ob ich es begriffen habe. Langes Rohr. Hochstellen. Fallen lassen. Feuern. Abschießen.« »Ich wusste, dass du es begreifst.« »Ich lerne rasch. Shura?«
    »Warum muss das Rohr bei einem Mörser so lang sein?« »Um die Mündungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Weißt du, was das ist?«
    »Ich kann es mir denken.«
    Als sie wieder draußen waren, trank Tatiana etwas und wandte sich dann wieder den Landkarten zu, die sie fasziniert studierte. »Shura, warum hast du eigentlich nur Karten von Skandinavien? Es gibt eine von Finnland, eine von Schweden und eine von der Nordsee zwischen Norwegen und England. Warum? Wir kämpfen doch gar nicht gegen Skandinavien.« »Wir kämpfen gegen Finnland.«
    »Oh, und

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