Die Liebenden von Sotschi
und hakte sich bei Irene ein. »Den Möbelcontainer wollen wir zunächst vergessen.«
»Aber warum denn? Es ist wertvolle –«
»Zunächst, habe ich gesagt. Der Kasten bleibt erst einmal ein paar Wochen im Hafen stehen. Dann fahren wir ihn ein bißchen spazieren. Nach Arizona. Von dort nach Arkansas. Dann geht's weiter nach Oregon. Am Ende landet er in Harlem. Und von dort endlich wird jedes Stück einzeln hierhergebracht. Da gibt es keine Kletten mehr, die haben wir unterwegs weggepflückt.«
»Ich verstehe das nicht, Ronny.« Irene hob die Schultern. »Das müssen Sie mir erklären.«
Bubrow verstand Cohagen sofort und nickte. »Wir sind Jeffersons«, sagte er. »Wir haben mit den Möbeln nichts zu tun.«
»Aber Boris –«
»Wir kaufen sie eines Tages von irgendeinem Mann zurück. Sie kommen schon noch in das Haus, nur auf vielen Umwegen.«
Ihre Augen wurden weit vor Schrecken.
»Ussatjuk?!«
»Ja. Er könnte den Weg der Möbel verfolgen, in der Hoffnung, mich dann zu entdecken.«
»Und das versalzen wir ihm. Spätestens beim dritten Besitzer der Möbel resigniert er. Denn wir verkaufen sie zwischendurch an diesen und jenen, der Tarnung wegen.« Cohagen gab Irene einen Kuß auf die Schläfe. »Mabel, Sie bekommen Großmütterchens Vertiko, ich verspreche es Ihnen. Aber es kann ein Jahr dauern. Wir müssen jetzt mehr Geduld haben als Ussatjuk. Sie haben ein neues, langes Leben vor sich, was macht's da schon aus, wenn man ein Jahr auf seine Möbel wartet. Im übrigen können Sie in New York auch Möbel leihen. Es gibt Firmen, die richten Ihnen das Haus nach Ihren Wünschen ein.«
»Und wer bezahlt das?« fragte Bubrow.
»Lieber Tony, Sie kennen Amerika noch nicht. Das erste, was wir Ihnen jetzt beschaffen, ist ein Haufen Kreditkarten. Damit können Sie sich auf Pump Ihren Bedarf fürs ganze Leben zusammenkaufen und zahlen monatlich immer nur soviel ab, wie Sie können. Das ist Amerikas wirtschaftlicher Blutkreislauf. Hier lebt jeder auf Kredit. Wenn plötzlich auf einen Schlag alle ihre Schulden zahlen würden – das wäre eine Katastrophe! Wir würden im Geld ersaufen und einfach pleite sein! Im Wirtschaftsleben ist nicht der Geldsack in der Ecke wichtig, sondern der Geldumlauf.« Cohagen klopfte dem irritierten Bubrow auf den Rücken. »Sie werden das schnell lernen, Tony. Nichts ist leichter, als auf Pump zu leben. Sie gehen in einen Laden, sagen: ›Dort, die Sesselgarnitur gefällt mir!‹ Dann zücken Sie lediglich Ihre Kreditkarte, und schon rollt der Möbelwagen an. Wehe, wenn Sie bar bezahlen! Dann sind Sie sofort verdächtig! Wer bar bezahlt, ist nicht kreditwürdig – das rangiert in Amerika gleich hinter Mord!«
Cohagen lachte über Bubrows zweifelnde Miene, faßte Irene wieder unter und ging mit ihr durch den blumenduftenden Vorgarten zum Wagen zurück.
Auf der Straße sah sich Irene noch einmal nach dem schönen, weißen Holzhaus um. Es war wirklich ein Schmuckstück. Erst jetzt bemerkte sie an der Seite das kleine Schild: ›For sale‹.
»Man kann es sogar kaufen?« rief sie.
»Ja. Darüber kann man reden.«
»Und warum gibt es der Besitzer ab?«
»Er hat sich ein größeres Haus drüben in Rockland, am Rockland Lake, gekauft. Natürlich auch auf Kredit. Aber wohnen Sie erst einmal ein paar Monate zur Miete. Wenn's Ihnen dann noch immer so gut gefällt, kaufen wir es. Auf Kredit.«
Sie fuhren zur Klinik von Prof. Tucker zurück. Es war Abend, der Glutball der untergehenden Sonne spiegelte sich im Hudson. Die Silhouette von Manhattan, ein Wald aus Betonsäulen, stand violett gegen den Abendhimmel. Eine wie Perlmutt schimmernde Wolke hing zwischen den beiden Türmen des World Trade Center.
»Selbst New York kann schön sein«, sagte Bubrow bewundernd. »Ich glaube, wir werden uns bald eingelebt haben.«
Sie blieben nur noch zehn Tage in der Klinik. Jeff Tucker behauptete, er habe noch nie in seiner langen Praxis einen so schnellen Heilvorgang beobachtet.
»Trotzdem möchte ich Sie erst entlassen, wenn ich genau weiß, daß Ihr Kinn keinen Alleingang macht«, sagte er. »Die Ohren, die Nase, die Augenpartien, die Wangen, überhaupt alles, was anders an Ihnen geworden ist, sitzt vorzüglich! Beim Kinn will ich noch abwarten. Das muß ich Ihnen übrigens sagen, Tony: Boxer können Sie nicht mehr werden! Sie haben jetzt ein sogenanntes ›gläsernes Kinn‹. Ein Bums, und schon kann es erbärmlich aus der Form kommen. Da müssen Sie aufpassen! Dort sind Sie unheimlich verwundbar!
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