Die Liebenden von Sotschi
plötzlich der Schweiß ausbrach. Er holte sich aus der Minibar die beiden kleinen Flaschen Wodka, schraubte sie auf, verzichtete aufs Glas und trank sie gleich leer.
»Wie kann man nur ein solcher Idiot sein?« sagte er laut. »Wo willst du denn hin, Borja?!«
An die Möglichkeit, daß Bubrow zu den Amerikanern überlaufen könnte, dachte Orlowskij nicht. Für ihn war dieser Gedanke unrealistisch. Ein Bubrow liefert sich nicht dem Feind aus. Er wird höchstens ein Einzelgänger, und das würde er nicht lange bleiben! An diesem frühen Nachmittag zeigte es sich, wie reibungslos und gut eingespielt die sowjetische Spionage funktionierte. Schlag folgte auf Schlag.
Orlowskij rief seinen ›Buchhalter‹ in Brüssel an.
Brüssel verständigte Moskau.
Ussatjuk sprach sofort mit General Butajew von der GRU. Butajew unterrichtete das Innen- und das Außenministerium.
General Nasarow vom sowjetischen Generalstab fuhr sogleich zu Ussatjuk.
Das Außenministerium alarmierte die Sowjetische Botschaft in Bonn.
Die Sowjetische Botschaft in Bonn wurde mit einer Blitz-Démarche bei der Bundesregierung vorstellig.
Mit größtem Nachdruck wurde die Auslieferung des sowjetischen Bürgers Boris Alexandrowitsch Bubrow, jetzt wohnhaft in Steinebach am Wörthsee bei der Ärztin Dr. Irene Walther, verlangt. Nachforschungen hätten ergeben, daß Bubrow verantwortlich für zwei Morde in Samtschetskoj, einem Ort im südlichen Sibirien, sei. Raubmorde. Man würde es als einen unfreundlichen Akt gegenüber der Sowjetunion betrachten, wenn …
Die Démarche wurde gegen 19 Uhr von einem Boten abgegeben. Ohne im einzelnen darauf einzugehen, denn der Vorwurf mußte ja zunächst überprüft werden, ging ein Hinweis an den Polizeipräsidenten von München. Das war um 20 Uhr 20.
Mordverdacht … Das war das 1. Kommissariat! Aber dort war der Fall Bubrow noch gut in Erinnerung: Kidnapping eines Flugzeuges aus Liebe. Dann politisches Asyl. Politische Fälle aber sind Sache des Dezernats 14.
Um 21 Uhr hatte der wachhabende Kommissar das heiße Eisen auf dem Tisch. Er rief seinen Dezernatsleiter an; dieser versuchte sofort, den Polizeipräsidenten zu bekommen. Der PP aber war zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Man holte ihn aus der fröhlichen Gesellschaft heraus zum Funktelefon seines Begleitfahrzeuges.
Gegen 22 Uhr 19 bremste vor der Wohnung von Dr. Irene Walther der Funkwagen der Polizei von Steinebach. Trotz stürmischen Klingelns öffnete niemand. Aber ein Nachbar wußte Bescheid.
»Die Frau Doktor ist vor etwa drei Stunden von einem Auto abgeholt worden«, sagte er. »Jawohl. Münchener Nummer. Die sind sicherlich irgendwo in der Stadt zum Essen. Das kommt öfter vor.«
Der Streifenführer gab die Lage nach München durch.
Neue Anweisung: Bei Rückkehr von Herrn Bubrow diesen sofort nach München, Dezernat 14, überstellen. Das heißt: ihn bitten, mitzukommen. Einen Haftbefehl gab es nicht. Wer unschuldig ist, kommt auch freiwillig mit.
Um diese Zeit saß Irene Walther schon drei Stunden in Cohagens Zimmer, zitternd, mit bis zum Zerreißen gespannten Nerven. »Ich kann das nicht begreifen«, schluchzte sie. »Ich will das gar nicht begreifen. Wie kann man das verstehen: Boris ein sowjetischer Spion? Oh, wenn ich doch jetzt sterben könnte – einfach sterben …«
Bubrow stand, mit dem Rücken zu ihr, am Fenster und hatte das Gesicht an die Scheibe gepreßt.
Er weinte.
Genau um Mitternacht sagte Bubrow zu Cohagen:
»Ronny, ich stelle mich unter den Schutz der Vereinigten Staaten. Ich habe dein Wort?«
»Du hast es.«
Bubrow sah sich um. Cohagens Zimmer war voll von Männern. Der Zigarettenrauch lag wie eine dicke Nebelwolke über den Köpfen. Oberst Behrends und Major Assendorff vom MAD waren gekommen, der Leiter des Dezernats 14, ein Verhörexperte des BND, zwei Beamte des Landeskriminalamtes Bayern, Abteilung VIII, und zwei Beamte des Landesamtes für Verfassungsschutz. Cohagen sah kein Problem mehr darin, die deutschen Stellen zu informieren, nachdem die Amerikanische Botschaft unmißverständlich klargemacht hatte, daß der Fall Bubrow allein Sache der Amerikaner sei. Er befand sich auf amerikanischem Kasernengelände und würde noch in dieser Nacht mit einem Hubschrauber zur Militärbasis Frankfurt gebracht werden. Von dort würde gegen Morgen ein Kurierflugzeug nach den USA starten.
An Bubrow kam keiner mehr heran. Nur sprechen konnte man ihn noch.
Natürlich war Dan Paddington eingetroffen, wie Cohagen vorausgesagt
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