Die Liebenden von Sotschi
Fasching vor drei Jahren. Und hier: Irene als Japanerin, Fasching vor zwei Jahren. Und hier: Irene als Kameliendame beim Medizinerball. Silvester vor zwei Jahren.«
»Es ist kaum anzunehmen, daß Frau Dr. Walther in Amerika als Kameliendame herumläuft.«
»Warten Sie doch ab! Ich will Ihnen nur zeigen, wieviel Gesichter Irene hat, welche Möglichkeiten es da gibt! Auf allen Kostümbildern sieht sie anders aus und ist doch unverkennbar Irene! Es gab einmal eine Zeit, da trug sie gern Perücken. War damals so eine Mode – mal blond, mal rot mit Grauschimmer, mal mit hellen Strähnen, dann wieder aschblond oder schwarzgelockt, eng anliegend oder mit schwingenden Wellen, mit Fransenpony oder stirnfrei. Irene hatte mal so einen Tick, man traut ihn einer Ärztin und Wissenschaftlerin gar nicht zu, aber ich habe hier auch Fotos, die sie mit verschiedenen Perücken zeigen. Und ich habe mir eben gedacht: Sie könnte auch in Amerika eine Perücke tragen. Und in diesem Fall hätte das KGB dann durch diese Fotos eine Vorstellung, wie sie aussehen könnte.«
»Interessant.« Jachnajew musterte Heroldt. »Warum tun Sie das?«
»Das ist meine Angelegenheit.«
»Da haben Sie recht.«
Jachnajew schob seine Brille über die Stirn, beugte sich über die Fotos und betrachtete flüchtig ein paar Bilder.
Dann setzte er sich wieder zurück und ließ die Brille auf seine Nase fallen. Hanns Heroldt legte die Hände aneinander. Sie waren so naß, als habe er sie gerade gewaschen. »Ist das denn nicht äußerst wertvoll für Sie?« fragte er mit belegter Stimme.
»Nein. Bubrow und Irene Walther interessieren uns nicht.« Jachnajew lächelte maliziös. »Sie können die Bilder wieder in Ihr Album kleben.«
»Ich brauche sie nicht. Im übrigen habe ich ja die Negative.« Heroldt erhob sich. »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Ihre Zeit gestohlen haben sollte.«
Jachnajew stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Ein Angestellter der Botschaft wartete bereits im Flur. Die Organisation klappte vorzüglich, dachte Heroldt voll Bitterkeit. Natürlich ist jetzt alles auf dem Tonband, das im Nebenzimmer läuft.
»Guten Heimflug!« sagte Jachnajew höflich.
»Danke!«
Heroldt verließ das Zimmer und folgte dem Angestellten. Die Fotos blieben bei Jachnajew zurück.
Sie landeten mit der nächsten Kurierpost in Moskau auf dem Schreibtisch von Ussatjuk.
»Das ist tatsächlich von Nutzen«, sagte Sulfi Iwanowitsch zufrieden. »Warten wir ab, was der gute Strelenko in New York erreicht. Noch ist Bubrows Spur kalt.«
Am nächsten Morgen klingelte es an Heroldts Wohnungstür in der schönen Jugendstil-Villa.
Heroldt lag noch im Bett, blickte auf die Uhr – es war erst knapp vor halb acht –, griff nach seinem seidenen Morgenmantel, schlurfte zur Tür und öffnete. Im Treppenhaus mit dem kunstvollen Geländer aus Schmiedeeisen stand ein Postbeamter.
»Herr Hanns Heroldt?«
»Ja.«
»Ein Telegramm aus New York.«
Heroldt zuckte zusammen, riß die Tür auf und winkte. »Kommen Sie herein! Aus New York?! Für diese gute Nachricht sollen Sie sich etwas Schönes kaufen! Einen Augenblick.«
Er wollte zurück ins Schlafzimmer, um sein Portemonnaie zu holen, aber der Bote wedelte mit dem Telegramm.
»Lesen Sie's doch erst mal! Vielleicht ist es keine gute Nachricht.«
Heroldt drehte sich um. »Sie kennen den Inhalt, was?« Er streckte die Hand aus. »Geben Sie her!«
Der Bote war ein junger, kräftiger Bursche. Er trat Heroldt in den Unterleib, und als dieser sich stöhnend krümmte, hieb er ihm mit der Handkante in den Nacken – von jeher die sicherste Methode, einen Mann blitzschnell auszuschalten.
Heroldt rollte über seinen wertvollen Chinateppich, bis er halbbetäubt an der Wand mit der Seidentapete liegenblieb, beide Hände an den Bauch gepreßt, mit hervorquellenden Augen und heraushängender Zunge.
Der Telegrammbote schloß die Wohnungstür, zog Heroldt an den Beinen ins Schlafzimmer und schloß auch dort die Tür. Dann wuchtete er den schweren Körper aufs Bett, setzte sich daneben in einen mit Fell bezogenen Sessel und wartete ab, bis Heroldt wieder zu sich kam. Das geschah bald – aber nun setzten die wahnsinnigen Schmerzen zwischen den Schenkeln wieder ein; er stöhnte laut, und plötzlich strömten ihm die Tränen aus den Augen.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte der Besucher ruhig. »Was hast du gestern in der Sowjetischen Botschaft gemacht?«
Heroldt begann zu zittern. Er schluckte mehrmals, bekam aber keinen Ton
Weitere Kostenlose Bücher