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Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Titel: Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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Meer, der konstante Geräuschpegel, die identische Aussicht in alle Himmelsrichtungen.
    »Warum bist du wach?«, fragte sie.
    »Hätte heute fast einen Unfall gehabt. Jemand sollte sich an einem der Gerüstbeine abseilen. Wäre fast schiefgegangen. Und jetzt stell ich mir dauernd vor, was passiert wäre, wenn es schiefgegangen wäre.«
    »Aber das ist es nicht, oder?«
    »Nein«, sagte er.
    »Aber schade, dass du wach bist und dass es dir nicht gut geht …«
    »Und dass du ungesund lebst.«
    »Aber ich seile mich wenigstens nicht an Bohrinseln ab.«
    »Schön, dass du angerufen hast. Gerade im richtigen Moment. Ich bin schon am Werk.«
    »Ach? Wie schön. Ich auch.«
    Sie ging ins Bett und ließ den Bademantel auf den Boden gleiten. Telefonsex war so unverbindlich und kam ihren Phantasien so entgegen, wie das überhaupt nur möglich war, sie konnte einfach aus sich herausströmen lassen, was sie mit ihm machen wollte, und ihn erzählen lassen, was er mit ihr machte, in diesem Moment, mit geschlossenen Augen, das Telefon am linken Ohr, jetzt hätte sie ein Headset sehr gut gebrauchen können, aber das hatte sie sich noch nicht zugelegt. Vielleicht würde sie eines Tages von einem Gehirntumor dahingerafft werden, verursacht durch die Handystrahlung?
    »Moment mal. Ich muss das Ohr wechseln.«
    Aber es war doch dasselbe Gehirn … Sie wechselte noch einmal, mit der linken Hand konnte sie einfach nicht arbeiten.
    »Tut mir leid. Bin wieder da. Wie weit bist du?«
    »Komme gleich. Du entscheidest«, sagte er. Er atmete so schwer und so schnell, dass es in ihrem Ohr hallte. Wenn bei Adressa Stellen gestrichen würden, könnte sie Telefonsex verkaufen, sie würde sich nicht einmal verstellen müssen. Sie kamen gleichzeitig, wenn das der Shellmann wüsste. Am Telefon gleichzeitig zu kommen war jedenfalls kein Problem.
    »Tausend Dank«, sagte er. »Das war verdammt gut.«
    »Ganz meinerseits.«
    Sie atmeten schwer, beide im selben Takt.
    »Hast du dich gerade ungesund gefühlt?«, fragte er.
    »Kein bisschen. Aber ich bin noch immer sehr wach.«
    »Noch mal?«
    »Gern. Wenn du willst. Ich kann gerade jetzt mehrmals kommen, aber es sind ziemlich kleine und seltsame Orgasmen, so kurz hinterher.«
    »Klein und seltsam, du schlimmer Finger. Na los.«

32
    Als sie einander gute Nacht sagten, stellte sie fest, dass auch der Three-Nighter eine SMS geschickt hatte, dass er wach sei, außerdem hatte er zweimal angerufen. Sie überlegte einen Moment, ob sie ihn zurückrufen sollte. Er wohnte in Oslo, war Musikredakteur bei der Aftenposten , sie hatte ihn in Roskilde kennengelernt und seitdem fand sie Schlamm irgendwie sexy, sie waren beide ziemlich blau gewesen und hatten während Björks Auftritt auf der Orangen Bühne angefangen zu knutschen. Zum Glück mussten sie keine Rezension über das Konzert schreiben, deshalb überließen sie Björk ihrem Schicksal und suchten sich ein leeres Zelt, krochen hinein und schliefen, ununterbrochen kichernd miteinander auf einem Haufen verschlammter Schlafsäcke.
    Dann war sie ihm beim Festival by:Larm in Trondheim wiederbegegnet, und dort hatten sie in standesgemäßerer Umgebung da weitermachen können, wo sie aufgehört hatten, bei ihr zu Hause in ihrem eigenen Bett. Es machte auch Spaß, mit ihm Telefonsex zu haben, er hatte so viele verrückte Phantasien, aber sie rief ihn jetzt nicht an. Dann würde sie etwas vortäuschen müssen, und das lag ihr nicht. Da sie es noch nie zuvor getan hatte, wollte sie jetzt nun wirklich nicht damit anfangen. Wenn sie ein junges Mädchen und eine Jungfrau vorgetäuscht hatte, dann doch nur, weil sie es nicht besser wusste.
    »Bist du gekommen?«, fragten sie.
    »Wie war es für dich?«, fragten sie.
    Sie wusste nicht, ob sie kam oder wie es war, deshalb nickte sie nur und lächelte und blinzelte träge, wie sie es im Kino gesehen hatte, und küsste sie, damit sie keine weiteren Fragen stellten. Die Jugend ist an junge Menschen vergeudet. Hatte das nicht Peter Wessel Zapffe einmal gesagt? Wenn sie doch nur begriffen hätte, woran sie sich damals so grob und hemmungslos hätte bedienen können. Das Tragische war ja das Missverhältnis zwischen den Geschlechtern, wenn es um Geilheit ging. Vollständig aus dem Takt geraten, ganz eindeutig ein biologischer Patzer. Junge Männer dachten mehrere Male pro Minute ans Ficken, während Frauen im gleichen Alter an Brautkleider dachten. Banal und traurig. Und hier lag sie und hatte jeden Gedanken an Brautkleider schon

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