Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
egal.«
»Was hab ich dir eigentlich getan?«
»Nichts.«
»Sag es doch einfach! Dann reden wir darüber! Ich will doch, dass es dir gut geht! Sollen wir heute vielleicht essen gehen? Oder uns im Kino einen Film ansehen?«
»Keinen Bock.«
»Dann nicht. War ja auch nur ein Vorschlag. Warum soll ich überhaupt irgendwas vorschlagen, wenn du die ganze Zeit so scheißsauer bist.«
»Dann lass es. Ich leg mich ein bisschen hin.«
»Kann mich auch ein bisschen hinlegen. Ich kann dich in den Arm nehmen, und da kannst du dann sauer sein, ist das eine gute Idee?«
»Nein. Ich will nur meine Ruhe. Bin todmüde.«
»Okay. War nur ein Vorschlag.«
»Du wiederholst dich.«
»Halt die Klappe. Geh ins Bett. Vielleicht bist du ja genießbar, wenn du wieder wach wirst. Wunder geschehen immer wieder.«
Und es konnte durchaus vorkommen, dass sie aufwachte und genießbar war. Dass sie aufwachte und die Sonne in sich spürte, eine Leichtigkeit, die hinter den Augenlidern einsetzte und sich über ihr bis zur Decke erstreckte, über die Bettwäsche, die Vorhänge, die sich vor dem offenen Fenster bewegten, alles war schön und vertraut und Geborgenheit schenkend und schön, und im Unterleib nahm sie eine Schwere und einen Schmerz wahr, über die sie sich einfach nur freute. Sie war Frau und am ganzen Körper lebendig.
»Verzeihung. Jetzt geht es mir besser. Habe meine Tage gekriegt.«
»Ich hab’s ja gesagt. Vielleicht sollte ich Buch über deine Tage führen. Sollten wir mit anfangen.«
»Hör doch auf, es ist jetzt vorbei. Entschuldige.«
»Es ist nicht deine Schuld. Eine Frau in den USA wurde freigesprochen, nachdem sie ihren Mann umgebracht hatte, sie hatte PMS , als sie ihn erstochen hat. Unzurechnungsfähig im Augenblick der Tat.«
»Das hab ich dir erzählt«, erinnerte sie ihn.
»Kann schon sein. Aber ich muss ziemlich oft daran denken. Ich sollte wohl die Messer im Haus verstecken, wenn du deine Tage kriegst. Jetzt habe ich mich entschieden, ich werde so einen Kalender anlegen.«
»Es ist doch vorbei, habe ich gesagt.«
29
Eines Tages wachte sie auf und dachte, dass sie ungesund lebte. Sie war fast vierzig und nahm alles selbstverständlich. Lunge und Herz, Gehirn und Kreislauf. Sie dachte an Sigrid, die einen Mann im Fernsehzimmer haben wollte, für den Fall, dass sie Krebs bekam oder im Rollstuhl landete.
Sie wollte keinen Krebs. Aber warum sollte sie Krebs bekommen? Sie rauchte nicht. Sie kaufte immer grünes Gemüse wie Brokkoli und Kohl und Porree und Spinat, sie aß Roggenbrot und fast niemals Junkfood. Wenn sie essen ging, nahm sie lieber Fisch als Fleisch, jeden Tag nahm sie Vitamin B, Vitamin C, eine Vitaminmixpille und irgendwelche Omegadinger. Sie trank zwar ein wenig zu viel, aber es beruhigte sie, Zeitungsartikel zum Lobe des Alkohols zu lesen, auch wenn sie im tiefsten Inneren den Verdacht hatte, dass die Journalisten selbst zu viel tranken und es deshalb liebten, wenn ihnen solche Forschungsergebnisse auf einem redaktionellen Silbertablett serviert wurden. Aber sie behaupteten jedenfalls, Alkohol wirke blutverdünnend und sei gut für den Kreislauf, Wein enthielte außerdem irgendwelche Spurenelemente, über die sie keinen genauen Überblick hatte, die aber als gar nicht so ungesund galten, in solchen Zusammenhängen war immer von Rotwein die Rede, aber da sie lieber weißen trank, ging sie einfach davon aus, dass es vermutlich auch für Weißwein galt. Wein musste doch Wein sein? Außerdem war Alkohol gut für die Stimmung, und das war ungemein wichtig für die Immunabwehr, das wusste sie. Also lebte sie alles in allem gesund.
Aber sie trieb keinen Sport.
Und daran musste sie denken, als sie aufwachte. Dass sie eigentlich keinen Sport trieb. Ab und zu mit einem schweren Koffer über einen Flugplatz zu hetzen galt nicht. Vielleicht sollte sie sich einen Pilatesball kaufen.
In ein Trainingsstudio zu gehen, war vollkommen ausgeschlossen. Ein einziges Mal war sie in einem gewesen, im 3 T – Training, Trimmen & Tanz – in Heimdal, weil Sola von den DumDum Boys dort trainierte. Sie hatte ihr Interview darauf aufgebaut, dass er Eisen pumpte, um seinen Job als Schlagzeuger zu bewältigen.
Im Studio stank es erbärmlich. Nach Gummimatten und Schweiß und Körpergasen und Steroiden und miesem Selbstvertrauen, es war noch früh am Tag, sie hatte fast die ganze Nacht vor dem Fernseher gesessen und sich die letzte Staffel von »The Wire« angesehen, während sie einen alten Rest aus einem
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