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Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Titel: Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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zählte fünf Briefkästen, sie ging langsam darauf zu und behielt dabei die Fenster der benachbarten Häuschen sorgfältig im Blick.
    Auf dem dritten Kasten, den sie öffnete, stand unter dem Deckel: Tom und Emma Ingulsen. Natürlich geschrieben von Emma, jeder Blockbuchstabe in einer eigenen Farbe, umgeben von kunstvollen Blüten. Sie schloss den Briefkasten und lief in der Dunkelheit zurück, den Weg hinunter und zurück zum Auto, und die ganze Zeit flüsterte sie vor sich hin:
    »Fuck, fuck, fuck, fuck, fuck, und fuckety fuck, fuck …«
    Aber sie fühlte sich deshalb trotzdem nicht jung.
    Als sie die Schlaufen der Stöcke von ihren Händen streifte, spürte sie, wie der Schweiß ihr über den Rücken lief, da hatte sie doch wenigstens etwas für ihr Geld bekommen. Sie warf die Stöcke ins Gebüsch, ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt, sie blieb stehen und sah sich eine Weile die Büsche an, während sie den Tropfen lauschte, die auf die Blätter fielen. Sie ging zum Gebüsch und wühlte darin herum, bis sie einen der Stöcke gefunden hatte, sie versuchte, ihn zu zerbrechen, das gelang ihr aber erst, als sie ihn über ihren Oberschenkel legte. Er brach nicht ganz durch, bog sich aber auf zufriedenstellende Weise. Die Stelle tat weh, wo sie ihn auf ihren Oberschenkel gedrückt hatte, sie würde einen blauen Flecken bekommen, sie bekam blaue Flecken vom bloßen Hinsehen. Als sie den Wagen anließ, drehte sie auch die Musik sofort laut auf. Maroon 5. Wenn sie nicht hinten im Auto den Subwoofer montiert hätte, wären ihre Lautsprecher schon längst explodiert. Wie schön es doch wäre, einfach loszufahren, weit weg zu fahren, durch die Stadt und durch andere Städte und nach Süden, über die Svinesundbrücke, nach Süden und Süden und weiter und immer weiter, ohne Ziel, auf die deutsche Autobahn, dieser Wagen war wie geschaffen für die linke Fahrspur auf einer deutschen Autobahn, nur weg, endlich weg, weg, verdammt noch mal, sie hatte 180 Pferdestärken und einen fast vollen Tank, und das Beste von allem: Fahrer- und Seitenairbags.

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    Er arbeitete im Pirsentret, dem Center am Hafen von Trondheim, sie fand ihn fast sofort, er war Dipl. Ing. von der Hochschule Trondheim, die Firma beriet bei Anlagen mit Unterwasserkonstruktionen und Rohrleitungen. Kein Foto. Sie fand mehrere Artikel, die er zu diesem Thema veröffentlicht hatte, und am Ende ein winziges Schwarzweißfoto über einem Artikel in einer Fachzeitschrift. Die Auflösung war so schlecht, dass es keinen Sinn gehabt hätte, das Bild auszudrucken, aber sie erkannte ihn: die dunklen Haare, die er gerade aus der Stirn gebürstet hatte, das runde und kräftige Kinn und die Augen, leicht belustigt, obwohl er versuchte, fachlich vertrauenerweckend und ernst auszusehen.
    Sie blieb lange vor dem Bildschirm sitzen, so lange, dass sie zusammenzuckte, als sie sich schließlich bewegte. Sie schaute aus dem Fenster und auf ihr eigenes Spiegelbild. Der Pferdeschwanz lag über der einen Schulter des weißen Fleecepullovers, ihre Wangen glühten, war sie schön? Was hatte er über sie gedacht, als er sie gesehen und als sie miteinander gesprochen hatten? Hatte auch er gedacht, ihr Mund habe Ähnlichkeit mit dem von Michelle Pfeiffer?
    Im Radio wurde über Charles Darwin diskutiert, vielleicht sollte sie sich das anhören, nur die Anpassungsfähigsten überlebten, es hatte nichts mit physischer Stärke zu tun. Die Flexibelsten waren die Stärksten.
    Sie wollte an diesem Abend nicht trinken, sie wollte so gesund sein wie zwei Teleskopstöcke. Sie füllte den Wasserkocher auf, nahm sich einen Teebeutel und legte ihn in einen sauberen Becher, dann schaute sie den weißen Becherboden an, während das Wasser langsam in Rage geriet, sie schob den Becher neben den Wasserkocher, füllte ein Milchglas mit Weißwein aus dem Dreiliterkarton, leerte es auf einen Zug, füllte es ein weiteres Mal und ging ins Wohnzimmer und legte die BeeGees ein. Dann blieb sie stehen und wartete, bis ihr Magen den Wein und bis sie selbst den Rhythmus in der Musik gefunden hatte. Stayin’ alive , darum ging es doch. Vielleicht könnte sie ins Kino gehen? Sie holte die Zeitung, studierte aber stattdessen das Fernsehprogramm. Auf TV 2 gab es einen Konzertmitschnitt mit Robbie Williams. Sie öffnete eine Tüte Käsechips, drehte die Anlage aus, schaltete den Fernseher ein, ging ins andere Zimmer und schloss das Fenster im Computer. Das kleine Passfoto eines Menschen, den sie nicht kannte. Vielleicht

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