Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
hier sein? Es geht um Morten Abel.«
Geir freute sich. Er liebe Morten Abel, sagte er, und sei gespannt darauf, wie er gekleidet sein würde. Und mit dem Aquarium im Hintergrund, das würde bestimmt sensationell aussehen.
»Ich glaube, er steht auf Aquarien und Tiere und so. Habe ich jedenfalls gehört. Ich tippe auf kräftige Farben.«
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Abel erschien in zitronengelben Fahrradshorts, passender Seidenjacke, schwarzem T-Shirt und Porsche-Sonnenbrille. Sie sprachen über seine Solokarriere und die Sehnsucht nach einem Comeback mit September When , seit die Band sich im Jahre sechsundneunzig aufgelöst hatte, über den Erwartungsdruck und die Studioarbeit, über Berlin und Freiheitsgefühle, über gute Zeiten und schlechte Zeiten, über Filesharing und Pirate Bay, über das Tourneeleben, Familienverhältnisse, Lebensperspektiven und künstlerische Freiheit im Exil, darüber, auf Englisch zu schreiben und zu singen, statt auf Norwegisch, darüber, eines Tages wieder gemeinsam mit der Band auf der Bühne zu stehen, in Stavanger.
Sie saßen im Schatten auf der Terrasse vor dem hoteleigenen Restaurant Heat und tranken mit Perrier gespritzten Weißwein, Geir machte aus einiger Entfernung Fotos, später würde er mit Abel Porträtaufnahmen machen. Abel war bekannt dafür, dass er Fotografen gegenüber kooperativ und entgegenkommend war, er posierte gern, und er war ein hervorragender Interviewpartner. Als sie den Spiralblock zuklappte und das Interview als beendet betrachtete, bestellten sie noch zwei Weinschorlen.
»Hast du Zeit mitgebracht, um die Stadt zu genießen?«, fragte er.
»Nein, eigentlich nicht. Will mich morgen noch ein wenig umschauen, aber das gehört auch zum Job.«
»Kein Picknick im Tiergarten?«, fragte er.
»Nein, aber das hab ich schon mal gemacht. Bei strömendem Regen.«
Es fühlte sich so an, als wäre sie körperlich gar nicht anwesend. Sie war beruflich unterwegs, als Profi, Berlin war zwar eine phantastische Stadt, aber in Wirklichkeit war sie nur erleichtert, dass sie nicht zu Hause war, so weit weg vom Ladesti wie überhaupt nur möglich. Sie nahm einen Schluck Weinschorle, während Abel irgendetwas über den Potsdamer Platz erzählte. Da schoss ihr plötzlich heißes Adrenalin durch den Körper, in Kehlkopf und Schläfen, und sie begriff, was da mit ihr vor sich ging, oder vielmehr wagte sie es, den Gedanken zuzulassen.
Es war nicht einmal so, dass sie auf ihn abfuhr, es war noch viel schlimmer, es war lebensgefährlich, sie würde nach Berlin umziehen müssen, sich morgen gleich eine Wohnung suchen und sich ihr ganzes Zeug schicken lassen, von einer professionellen Umzugsfirma verpackt, sie würde ihre Wohnung verkaufen, ohne nach Hause zurückkehren zu müssen, das Auto auch, sich einfach aus diesem unsäglichen Trondheim-Zustand freikaufen, nie wieder auch nur einen Fuß auf tr Ø nderschen Boden setzen, als selbstständige Journalistin arbeiten.
»Ist dir schlecht?«, fragte Abel.
»Was?«
»Du bist plötzlich so komisch. Antwortest gar nicht.«
Sie bekam keine Luft mehr. Und diese verdammte Hitze.
»Nein, mir ist nur etwas eingefallen … etwas, das ich vergessen habe. Etwas Wichtiges.«
»Job?«
»Nein. Privat«, sagte sie.
»Trink noch einen Schluck Schorle. Ich habe viel von dir gehört, habe deine Artikel gelesen, Du bist verdammt gut, deshalb hat Adressa das Interview hier gekriegt und nicht Stavanger Aftenbladet .«
»Aber wir arbeiten auch mit Aftenbladet zusammen. Allerdings nur bei größeren Reisereportagen und Wissenschaftsbeiträgen und so. Das hier kriegen sie nicht. Oder erst nach uns.«
»Und dann werden sie sauer?«, fragte er.
»Nö. Name of the game. Beim nächsten Mal sind sie dann schneller, und wir müssen yesterday’s news lesen. So ist das in dem Business eben.«
»Hast du schon einen Titel für den Artikel?«
»Ich habe mir schon im Flugzeug hierher einen überlegt. September Soon . Wie findest du den?«
»Verdammt gut. Prost!«
Geir kam auf sie zu, sah den zugeklappten Spiralblock auf dem Tisch liegen und wusste, dass das Interview beendet war.
»Jetzt gehörst du mir«, sagte er.
»Dann auf zum Aquarium«, schlug Abel vor. »Als Erstes müssen wir mit dem Fahrstuhl hoch- und runterfahren. Das ist saucool.«
Wenn sie nur in der Lage wäre, auch den Fahrstuhl in ihrem Kopf zu nehmen, einfach auf den Knopf zu drücken und zur berechenbaren Normalität hinabsausen zu können, dort würden sich die Türen öffnen, und sie würde den
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