Die Liebesbloedigkeit
kleinen Grasmulde sitzen. Judith greift mir unters Hemd und flüstert: Kannst du kommen? Ich schaue mich um, offenbar sind wir hinreichend allein. Judith zieht ihren Schlüpfer aus und beugt sich nach vorne. Ich kämpfe mit meiner Schamhaftigkeit, die sich im Freien nicht leicht bändigen läßt. Aber dann hilft mir der Anblick von Judiths weißen Schenkeln inmitten einiger sanft wedelnder Gräser. Es ist ein unaussprechliches Glück, Judiths Hinternfalte zu öffnen, die Backen sanft hochzuziehen und dann die Stelle zu sehen, wo die Falte in die Geschlechtsritze übergeht. Judith läßt zwei, drei Seufzer hören, die von Nachtigallenseufzern kaum zu unterscheiden sind. Judith weiß, daß ich den Beischlaf im Freien nicht lange dehnen kann. Obwohl wir allein sind, schaue ich mich doch verstohlen um und werde dabei nervös. Meine Empfindungen für Judith und Sandra fließen wieder ineinander. Momentweise habe ich das Gefühl, daß ich mit beiden Frauen gleichzeitig zusammen bin. Selbst die bläulichen Schatten einiger Krampfadern in den Kniekehlen sind bei Judith und Sandra ähnlich. In den Augenblicken des Samenabgangs schwirrt ein Dutzend Sperlinge aus der Hecke. Es entzückt mich, daß die Vögel geordnet auffliegen und ebenso geordnet in eine andere Hecke einfallen. Ich schäme mich meiner zerfließenden Gefühle, allerdings nicht sehr. Ich würde gerne behaupten, daß ich nur mit Judith diesen schönen Körperwiderspruch einer starken Ermattung erlebe. Aber es wäre gelogen. Auch mit Sandra bin ich genauso glücklich zerschlagen und gleichzeitig gestärkt wie jetzt bei Judith. Ich wünsche allen Männern zwei Frauen und allen Frauen zwei Männer, wenigstens phasenweise, denn zwei Frauen oder zwei Männer sind die Mindestüppigkeit, mit der wir den Kampf gegen unser armseliges Leben antreten können, ohne uns gleich dem Gesetz der Kargheit auszuliefern. Judith steigt in ihren Schlüpfer und sagt: Man wird schön belohnt, wenn man dich liebt. Nach einer Pause sagt sie: So richtig verletzt haben wir uns noch nicht, oder?
Nein, sage ich; willst du, daß wir wegen irgend etwas aufeinander losgehen?
Natürlich nicht.
Aber es ist dir verdächtig, daß es zwischen uns keinen Hickhack gibt?
Ja, sagt Judith; ich denke häufig, daß sich im geheimen etwas ansammelt.
Das denke ich manchmal auch; aber warum sollten wir uns verletzen?
Ich möchte sehen, wie wir hinterher damit fertig werden, sagt Judith.
Wir lachen und kriechen unter der Hecke hervor. Die anderen Vogelkundler sind uns inzwischen weit voraus. Wir beeilen uns ein bißchen und hören schon bald ihre Stimmen.
Drei Morgende später wache ich gegen sieben Uhr auf und habe wieder dieses nervöse Zittern im rechten Augenlid. Das Kribbeln überfällt mich in Abständen von drei bis vier Wochen und löst jedesmal eine Flut von finalen Vorstellungen aus. Ich habe schon öfter Menschen gesehen, denen ein Lid tot über einem Auge hing wie ein kaputter Rolladen. Kriege ich jetzt auch ein solches Auge? Nach einer Weile scheue ich mich nicht, eingebildete Sterbeszenen zu durchleben. Ich glaube, daß ich an Krebs erkrankt bin (letztes Stadium natürlich) und den nächsten Winter nicht mehr überleben werde. Schon als Kind habe ich gewußt, daß der Tod eine ferne Beschmutzung ist, die man sich auch noch selbst zufügen muß. Es hat nichts genutzt, daß du dich ein Leben lang ordentlich gewaschen hast! Die nächsten Stationen werden sein: Darmspiegelung, Darmverschluß, Darmoperation, Darmkatheter. Meine Ängste sind so fürchterlich, daß mir allein von ihnen fast schlecht wird. Ich schaue in meinem Arbeitszimmer umher und sehe die wirren Aufhäufungen von Briefen, Katalogen, Broschüren, Programmen, Protokollen, Zeitschriften und Zeitungsausschnitten, die ich nur noch selten ordne. Das alles wird weggeworfen werden müssen, wenn du tot bist! Und wer wird in das Zimmer treten und das Zeug in Müllsäcken verschwinden lassen, Sandra oder Judith? Bleicher Himmel, jetzt geht das wieder los. Zum Glück komme ich auf die Idee, das Fenster zu öffnen. Ich höre Frau Schlesinger, die mit zusammengeknülltem Zeitungspapier ihre Fenster putzt. Das Quietschen des Papiers auf dem Glas erinnert mich an Mutter, die die Fenster genauso geputzt hat. Als ich jung war, erschien mir das Fensterputzen als Gipfel der Lebensleere, jetzt kommt es mir vor wie ein kostbares Innehalten meiner rasenden Todesangstmaschine. Nach einer halben Stunde läßt das Zittern in meinem Augenlid nach.
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