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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Seminartisch lümmelten sich, als Madeleine aus dem Winterwetter hereinkam, acht Gestalten in schwarzen T-Shirts und zerrissenen schwarzen Jeans. Manche hatten die Kragen oder Ärmel ihrer T-Shirts abgeschnitten. Das Gesicht von einem war fast gruselig – wie das eines Babys, dem ein Backenbart gewachsen war   –, und Madeleine brauchte eine ganze Minute, bis sie merkte, woran das lag: Er hatte sich die Augenbrauen abrasiert. Alle im Raum sahen so gespenstisch aus, dass Madeleines natürliche Gesundheit geradezu suspekt wirkte, wie eine Ja-Stimme für Reagan. Daher war sie erleichtert, als ein kräftiger Kerl mit Daunenjacke und Polarstiefeln auftauchte und sich auf den leeren Platz neben ihr setzte. Er hatte einen Plastikbecher Kaffee mitgebracht.
    Zipperstein bat die Studenten, sich vorzustellen und zu erklären, weshalb sie das Seminar gewählt hatten.
    Der ohne Augenbrauen machte als Erster den Mund auf. «Hm, na ja. Ich finde es schwierig, mich vorzustellen, weil die Idee von gesellschaftlicher Vorstellung so problematisch ist. Ich meine, wenn ich sage, mein Name ist Thurston Meems, aufgewachsen in Stamford, Connecticut, wisst ihr dann, wer ich bin? Okay. Ich heiße Thurston und komme aus Stamford, Connecticut. Ich mache diesen Kurs, weil ich vorigen Sommerdie
Grammatologie
gelesen habe und es mich umgehauen hat.» Als Madeleines Sitznachbar an der Reihe war, sagte er mit ruhiger Stimme, er studiere zwei Hauptfächer (Biologie und Philosophie) und habe noch nie einen Semiotikkurs besucht, seine Eltern hätten ihn Leonard genannt, es habe sich immer als ganz praktisch erwiesen, einen Namen zu haben, vor allem, wenn man zum Essen gerufen werde, und wenn irgendjemand ihn mit Leonard anreden wolle, werde er antworten.
    Mehr gab Leonard nicht von sich. Den Rest der Zeit saß er zurückgelehnt auf seinem Stuhl und streckte die langen Beine aus. Als er den Kaffee ausgetrunken hatte, kramte er in seinem rechten Polarstiefel und zog, zu Madeleines Erstaunen, eine Dose Kautabak hervor. Mit zwei braungefleckten Fingern schob er sich ein Knäuel Tabak in die Backe. Während der nächsten zwei Stunden spuckte er, ungefähr jede Minute, diskret, aber hörbar in den Becher.
    Zipperstein verordnete ihnen im Wochentakt ein beängstigendes theoretisches Werk und dazu ein literarisches seiner Wahl. Die Kombinationen waren exzentrisch, wenn nicht das Ergebnis reiner Willkür. (Was hatte beispielsweise de Saussures
Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft
mit Pynchons
Die Versteigerung von Nr.   49
zu tun?) Zipperstein selbst bemühte sich weniger, die Veranstaltung zu leiten, als sie, verborgen hinter dem Einwegspiegel seiner undurchsichtigen Persönlichkeit, zu beobachten. Er sagte kaum ein Wort. Hin und wieder stellte er Fragen, um die Diskussion anzuheizen, und trat oft ans Fenster und starrte in Richtung Narragansett Bay, als dächte er an seine Holzschaluppe auf dem Trockendock.
    Drei Wochen nach Kursbeginn, an einem Februartag mit Schneegestöber unter grauem Himmel, lasen sie Zippersteinseigenes Buch,
Zeichen-Machen
, und dazu ein literarisches von Peter Handke
.
    Es war immer peinlich, wenn Professoren ihre eigenen Bücher zur Diskussion stellten. Sogar Madeleine, die sich mit der Lektüre all der Texte schwertat, konnte erkennen, dass Zippersteins Beitrag zur Semiotik ein zweitrangiger Abklatsch war.
    Alle schienen etwas verdruckst, solange über
Zeichen-Machen
geredet wurde, und atmeten auf, als sie nach der Pause zum literarischen Teil übergingen.
    «Nun?», fragte Zipperstein und blinzelte hinter seiner runden Drahtbrille. «Was machen Sie jetzt aus dem Handke?»
    Nach einem kurzen Schweigen ergriff Thurston das Wort: «Der Handke ist total abgedreht und deprimierend», sagte er. «Großartig, finde ich.»
    Thurston mit seinem kurzen, gegelten Haar sah aus, als hätte er den Schalk im Nacken. Die augenbrauenlose Blässe verlieh seinem Gesicht einen Ausdruck von Superintelligenz, einem schwebenden, Geist gewordenen Gehirn.
    «Etwas ausführlicher vielleicht?», sagte Zipperstein.
    «Also, na ja, wissen Sie, Herr Professor, da geht’s um eine Sache, die mir am Herzen liegt – sich umbringen.» Die anderen Studenten kicherten, während Thurston sich aufwärmte, um dann erst richtig loszulegen. «Angeblich ist es autobiographisch, dieses Buch. Aber ich würde – mit Barthes – behaupten, dass der Akt des Schreibens an sich eine Fiktionalisierung ist, auch wenn tatsächliche Ereignisse behandelt

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