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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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war einfach. Für Mathe musste sie ihre Highschool-Algebra aufpolieren. Aber bei den logischen Textaufgaben versagte ihr Verstand. «Auf dem Jahresball tanzten mehrere Tänzer ihren Lieblingstanz mit ihren Lieblingspartnerinnen. Alan tanzte Tango, während Becky beim Walzer zuschaute. James und Charlotte harmonierten phantastisch. Keith legte einen tollen Foxtrott hin, und Simon glänzte beim Rumba. Jessica tanzte mit Alan. Aber Laura tanzte nicht mit Simon. – Wer tanzte mit wem, und welches war ihr jeweiliger Lieblingstanz?» Diese Art von Logik hatte Madeleine nie ausdrücklich gelernt. Es schien unfair, danach gefragt zu werden. Sie tat, was das Buch empfahl, zeichnete ein Schema, stellte Alan, Becky, James, Charlotte, Keith, Simon, Jessica und Laura auf die Tanzfläche ihres Schmierpapiers und fügte sie gemäß den Hinweisen im Text zu Paaren zusammen. Aber das komplizierte Zuordnen war nichts, dem Madeleines Denkweise naturgemäß folgte. Sie wollte wissen, weshalb James und Charlotte so phantastisch harmonierten und ob Jessica und Alan ein Verhältnis hatten, weshalb Laura nicht mit Simon tanzte und ob die zuschauende Becky verärgert war.
    Eines Nachmittags entdeckte Madeleine am Schwarzen Brett vor dem Hillel House eine Ausschreibung der Melvin-und-Hetty-Greenberg-Stiftung für eine Sommerakademie an der Hebräischen Universität in Jerusalem, und sie bewarb sich darum. Sie nutzte Altons Beziehungen zur Verlagswelt, kleidete sich geschäftsmäßig und fuhr zu einem Kontaktgesprächmit einem Lektor bei Simon and Schuster nach New York. Der Lektor, Terry Wirth, war früher – genau wie Madeleine – ein gescheiter, idealistischer Literaturstudent gewesen, aber an diesem Nachmittag fand sie ihn hinter aufgetürmten Manuskripten in einem winzigen Büro, aus dem man in die finstere Schlucht der Sixth Avenue hinuntersah, ein Mann mittleren Alters, der zwei Kinder hatte, mit einem Gehalt weit unter dem Durchschnitt seiner ehemaligen Studienkollegen und einem zermürbenden Eineinviertel-Stunden-Pendelweg zu seinem Terrassenhaus in Montclair, New Jersey. Bezüglich der Aussichten eines von ihm betreuten Buches, das im laufenden Monat erscheinen sollte, den Erinnerungen eines wandernden Landarbeiters, sagte Wirth: «Jetzt herrscht gerade die Ruhe vor der Ruhe.» Er bot Madeleine an, für einen Fünfziger pro Stück Gutachten zu schreiben, und gab ihr einen Stapel vom Haufen der eingereichten Manuskripte mit.
    Statt die Manuskripte zu lesen, nahm Madeleine die Subway in Richtung East Village. Nachdem sie sich bei De Robertis eine Tüte Pinoli gekauft hatte, stürzte sie in einen Frisiersalon, in dem sie aus Jux und Dollerei einer auf Mann getrimmten Frau mit Kurzhaarschnitt und Nackenschwänzchen erlaubte, sie zu bearbeiten. «Schneiden Sie’s an den Seiten kurz und oben etwas länger», sagte Madeleine. «Sicher?», sagte die Frau. «Ja, sicher», antwortete Madeleine. Um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, nahm sie ihre Brille ab. Fünfundvierzig Minuten später setzte sie die Brille wieder auf, von Grauen gepackt und beschwingt ob der Verwandlung. Ihr Kopf war ganz schön riesig. Sie hatte sich seine wahre Größe noch nie vorgestellt. Sie sah aus wie Annie Lennox oder David Bowie. Wie jemand, mit dem sich die Friseuse verabreden würde.
    Egal, wie Annie Lennox auszusehen war okay. Das Androgyne traf es genau. Sobald sie wieder auf dem Campus war, zeigte ihr Haarschnitt den strengen Rahmen ihrer inneren Verfassung, und gegen Ende das Jahres, als der Pony auf eine störende Zwischenlänge nachgewachsen und zu nichts mehr zu gebrauchen war, hielt Madeleine immer noch an ihren Entsagungen fest. (Der einzige Ausrutscher war der Abend mit Mitchell in ihrem Zimmer gewesen, aber da war nichts passiert.) Madeleine musste ihre Jahresarbeit schreiben. Sie musste ihre Zukunft in den Griff bekommen. Das Letzte, was sie brauchen konnte, war ein Typ, der sie von der Arbeit ablenkte und aus dem Gleichgewicht brachte. Aber dann, im Frühjahr, lernte sie Leonard Bankhead kennen, und alle guten Vorsätze gingen den Bach hinunter.
    Er rasierte sich unregelmäßig. Sein Tabak, Skoal, roch nach Menthol, frischer, angenehmer, als Madeleine gedacht hatte. Jedes Mal, wenn sie aufblickte und Leonard sie mit seinen Bernhardineraugen anstarrte (den Augen eines Sabbermauls vielleicht, aber auch einer treuen Seele, die einen aus einer Lawine buddelt), starrte Madeleine unwillkürlich einen signifikanten Moment länger zurück.
    Eines

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