Die Liebeslist
Gesinde ihm jeden Wunsch von den Augen ablas und wo Freunde und Verwandte zu Besuch kamen, da hatte Hugh festgestellt, dass sein übliches Tagewerk ihn nicht mehr ausfüllte. Besser gesagt, es hielt ihn zwar beschäftigt, aber es ließ ihm auch viel Raum zum Grübeln. Seine Verwandten hatten zwar hin und wieder den Eindruck, er entwickle sich zum Hagestolz, aber das schrieben sie seinen Eigenheiten und seinem fortgeschrittenen Alter zu.
Bei der Erinnerung an die Bemerkungen brummte er unwillkürlich ein wenig verärgert. Vielleicht, so sein Gedankengang, sollte er sich nicht mehr so häufig mit königlichen Aufgaben belasten und es sich lieber zweimal überlegen, ehe er wieder im Auftrag der Krone kreuz und quer durch die Grenzmarken ritt. Einmal hatte er sich mit einem seiner hochnäsigen Söhne angelegt und dem jüngeren deutlich gemacht – schärfer im Ton, als es seine Familie von ihm gewohnt war –, das Alter tue nichts zur Sache und er, der Filius, solle seine Ratschläge gefälligst für sich behalten. Im Übrigen wäre er als Familienoberhaupt dankbar, wenn sein aufdringlicher Erstgeborener nicht dauernd seine Nase in die Angelegenheiten des Vaters stecken würde. Mit diesen Worten war er wütend hinausmarschiert, hatte seinen Erben nach Worten ringend und mit offenem Mund zurückgelassen und bei der Gelegenheit erstmals begriffen, dass er einsam war.
Nunmehr strich er sich mit den Fingern durchs regenfeuchte Haar und lenkte sein Augenmerk zurück auf die anstehenden Dinge. „Kannst du nicht einfach klein beigeben und abziehen, Ger?“
„Nein.“
„Wenn Henry das zu Ohren kommt, wird er sicher nicht besonders angetan sein und entsprechend handeln.“
„Ach was! Der war doch schon auf dem Sprung nach Anjou! Und Eleanor ist in London. Der wird sich hier in den Marken einige Zeit nicht sehen lassen.“ Gervase warf seinem Freund einen Blick zu. „Nachdem er mir mit schlimmsten Repressalien drohte, gab er mir den Rat, die Burg einfach im Sturm zurückzuholen und Rosamund zur Ehe zu zwingen.“
„Das passt zu ihm. Erst handeln, später bedauern. Wohlgemerkt: Es ist allerdings nicht seine Art, überhaupt etwas zu bedauern.“ Hugh schürzte verächtlich die Lippen. „Mein Rat hätte anders gelautet. Hast du das denn vor?“
„Was? Rosamund zwingen? Nein!“
„Und? Was dann?“
Als Antwort winkte Gervase grinsend seinen Knappen herbei, der neben dem Zelt bei dem bereits gesattelten und aufgezäumten Pferd wartete. Gervase musterte das Bürschchen sehr gründlich, genauer wohl, als es mitten in einer Belagerung eigentlich notwendig war. Owen trug seine Montur absolut makellos, fast als rechne er damit, auf eine wichtige Mission geschickt zu werden.
„So, Owen, so elegant, wie du angezogen bist, dürfte die Sache ein Erfolg werden“, rief Fitz Osbern. „Weißt du auch noch, was du zu tun hast? Was du sagen sollst?“
„Jawohl, Mylord.“
„Dann nimm das hier.“ Er reichte ihm ein flaches Bündel.
„Sie wird mich doch nicht ins Verlies werfen?“
„Wenn, dann holen wir dich raus. Großes Ehrenwort.“
„Und wenn sie noch was Schlimmeres mit mir macht?“ Der Junge fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen.
„Dann sage ich deiner Mutter, du seiest in meinen Diensten heldenhaft gefallen.“ Gervase lachte verhalten, während der arme Owen leichenblass wurde. „Ach, Unfug, Junge! Sie wird dir kein Haar krümmen. Da brauchst du keine Angst zu haben. Sie würde höchstens mir den Dolch in den Rücken jagen, wenn ich nicht acht gebe. So, und jetzt ab dafür!“ Er half dem jungen Bürschchen in den Sattel und schaute ihm nach, wie er im leichten Galopp dem Burgtor zustrebte, gefolgt von einer kleinen Eskorte mit flatternden Wimpeln, die einer nichts ahnenden Burgherrin einen Besuch ankündigten.
„Ich verstehe noch immer nicht, was das soll“, murmelte Hugh gereizt.
„Eine kleine List, die aber möglicherweise wirkt. Auch wenn ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen würde. Sei es drum …“ Inzwischen erschien eine vertraute Gestalt auf den Zinnen und spähte von oben herunter. Die resoluten Bewegungen, die stolze Haltung des Kopfes, all das war unverkennbar, selbst aus der Entfernung. Ja, er konnte sich sogar vorstellen, wie ihr rotbraunes Haar im grauen Licht golden schimmerte, wie ihre Augen neugierig glänzten, weil sie der Sache auf den Grund gehen wollte. Das Ganze war natürlich eine gewagte Angelegenheit. Falls sie sich nicht darauf einließ, konnte es sein, dass
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