Die Liebeslist
schon lange nicht mehr erlebt hatte. An seine Zärtlichkeiten durfte sie nicht mehr denken, an seine geschickten Finger, an seine Küsse und Liebkosungen. Falls er verhandeln wollte, nun, so würde sie sich seine Vorschläge anhören und sich dann Bedenkzeit erbitten. Und danach würde sie alles in Bausch und Bogen ablehnen, und zwar mit dem größten Vergnügen.
Sie unterbrach sich beim Zählen der Lebensmittel, legte den Zählstab auf einem Bierfass ab und wischte sich die Spinnweben aus dem Gesicht. Nun kamen ihr doch noch Bedenken, denn jetzt begriff sie auf einmal, was ihre Mutter so belustigt hatte. Petronilla dachte wohl, Fitz Osbern habe womöglich ein Auge auf ihre Tochter geworfen. Vielleicht war dem auch so. Nur war wohl zu befürchten, dass er für sie nicht mehr empfand als eine milde Form von Zuneigung. Denn von Liebe hatte er ja nie einen Ton gesagt, oder?
Zufrieden mit der Verfassung seiner Truppen, rieb Gervase sich die Krümel von den Fingern und leerte seinen Humpen. Seine Männer um ihn herum machten es ihm nach und stellten sich auf einen geruhsamen Tag ein. Jetzt brauchte man nur noch abzuwarten. Er wusste ja, wie es um die Vorräte von Clifford Castle bestellt war. Hatte er nicht den Nachschub an Mehl, Schinken und Ale selbst überwacht und für Verbesserungen gesorgt? Außerdem kannte er die Schwachstellen der Befestigungsanlagen, beispielsweise die Palisaden, bei denen ein auf Einnahme erpichter Gegner zuerst ansetzen würde. Nach seiner Ansicht war die Kapitulation nur eine Frage von ein wenig Geduld und Durchhaltevermögen.
Grübelnd musterte er die teilweise neu erbauten Mauern, die roh behauenen neuen Holzpalisaden. Der König hatte gut reden mit seinem hemdsärmeligen Rat. Gervase selbst jedenfalls ging es gegen den Strich, die Frau, die er liebte, auf solch unehrenhafte Weise zur Aufgabe zu zwingen. Das bereitete ihm regelrecht Bauchgrimmen. Wie sollte das zum Erfolg führen, dass man eine resolute junge Frau wie Rosamund erst aushungerte – denn Widerstand leisten würde sie so oder so, da hatte er keinen Zweifel –, um ihr anschließend im gleichen Atemzug zu erklären, man liebe sie mehr als sein Leben und wolle sie unbedingt heiraten? Und zwar nicht, weil sie so eine gute Herrin sein würde für seine zahlreichen Burgen, sondern weil er zu seinem äußersten Unbehagen gemerkt hatte, dass er ohne sie nicht mehr sein mochte. Es fehlte irgendwie die Würze wie bei einer Suppe ohne Salz. Er liebte jedes bisschen an ihr und konnte sich ein Dasein ohne sie an seiner Seite nicht mehr vorstellen. Und doch: Nun standen sie sich hier gegenüber, getrennt durch die Bastionen von Clifford Castle sowie auch durch ein Gutteil Sturheit auf beiden Seiten.
Gervase starrte das Hindernis an, als könne er es durch schiere Willensstärke verschwinden lassen. Nun, möglich, dass er Rosamund de Longspey den Fehdehandschuh hinwarf, wie Henry es ihm geraten hatte. Die Belagerung jedoch, die sollte nicht nach den Bedingungen des Königs verlaufen, sondern nach seinen, Fitz Osberns.
„Und nun?“ Hugh zog sich einen Hocker heran und bückte sich nach einem Ziegenbalg. „Du hast doch nicht etwa allen Ernstes vor, sie auszuhungern, hm?“ Damit sprach er das aus, was Gervase bewegte.
„Es sei denn, mir bleibt keine andere Wahl. Passt dir wohl alles nicht, was?“ Gervase schaute auf. Sein alter Kampfgefährte war an diesem Morgen ziemlich schlecht gelaunt.
„Nicht besonders“, gab Hugh finster ein. „Kein gutes Belagerungswetter.“
„Hat mich auch überrascht, dass du mir deine Unterstützung anbotest. Nicht, dass ich undankbar erscheinen möchte … Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du gewisse Hintergedanken hast.“ Gervase machte keinen Hehl aus seiner Belustigung, während sein alter Freund ziemlich belämmert dreinblickte. „Falls du es nicht schon längst selbst gemerkt hast – und das hast du mit Sicherheit: Trotz ihrer betörenden Schönheit hat deine Witwe es faustdick hinter den Ohren. Wenn du nicht aufpasst, Hugh, teilst du mit ihr das Bett. Womöglich lockt die dich noch in die Fesseln des Ehelebens.“
„Das ist ja das Heikle. Sie will gar keinen im Bett haben.“ In düsteres Schweigen versunken, grübelte Hugh darüber nach, wieso die Countess sich so sperrig anstellte. In letzter Zeit konnte er sich weniger und weniger dem Gefühl verwehren, dass er sich verändert hatte. In dem in Hereford herrschenden Gewühle und Geplapper, in seinem gemütlichen Heim, wo das
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