Die Liebeslist
Lippen, die waren verdammt süß.“
Gähnend starrte er einen Moment lang in die glimmenden Aschenreste, als könne er von dort ein Bildnis heraufbeschwören. Ein Kunstwerk – Rosamund de Longspey, aufgewachsen im Reichtum und verschwenderischen Luxus des Hochadels. Fast hätte er verächtlich geknurrt, doch dann fiel ihm ein, dass sie ja eigentlich von John de Bredwardine abstammte, einem Markgraf, im Grunde also aus demselben Stall wie er selbst. Wenn der ihr Vater war, dann musste irgendwo in ihr auch eine Prise gesunder Härte stecken. Die war allerdings nicht zu entdecken gewesen, als die Lady bei Tische saß, angetan mit ihrem feinen Gewand aus flämischem Tuch und dem losen, eleganten Überkleid. Blau, wenn er sich recht erinnerte, ein satter, kräftiger Farbton. Er ließ die Schultern etwas sacken. Cecilia, seine quirlige jün gere Schwester mit ihren schwärmerischen Ideen von den Heldentaten eines König Artus und seiner Tafelrunde, von Rittern und modischem Firlefanz, die wäre entzückt gewesen angesichts Rosamunds Garderobe. Die hätte die Farbe vermutlich persblau genannt oder sogar pavonalilis , so lächerliche Fantasiebezeichnungen für Tiefblau und Pfauenblau. Für ihn war es einfach blau, basta. Stand ihr nicht schlecht, auch wenn die Kleidung an sich für den Burgalltag nicht sonderlich taugte.
Das Bild von Rosamund wurde immer deutlicher. Die Juwelen, die an ihren Fingern funkelten, die hätten am königlichen Hof zu Westminster einiges hergemacht, ebenso die edelsteinbesetzte Brosche am Halsausschnitt ihres Gewandes. Smaragde, so grün wie ihre Augen, glitzerten in dem Gürtel, der ihre schlanke Taille betonte. Ja, zu seinem Unbehagen stellte er fest, dass er sich ohne Weiteres ausmalen konnte, wie vorteilhaft das Kleid ihre Figur umschmeichelte. Und das Haar … leuchtendes Rotbraun, gebunden mit blauen Bändern und an den Enden beschwert mit silbernem Zierrat. So fiel es ihr sanft über den Busen und reichte gut bis zur Hüfte. Wahrscheinlich war es nicht echt, so seine Vermutung. Cecilia war ebenfalls für solche Mogelei zu haben. Die hätte ihre Naturzöpfe glatt mit Seidenflechten verlängert, wäre Lady Maude, die Mutter, nicht energisch eingeschritten.
Ja, tatsächlich: Zwischen seinem zu jeglichen Schabernack aufgelegten Schwesterherz und Rosamund de Longspey bestanden einige leidige Ähnlichkeiten. Beide, so sein Verdacht, wurden getrieben von dem Drang, sich gegen die Männer zu behaupten. Nur war die blutjunge Cecilia hoffentlich noch formbar, was man nach seinem Eindruck von Lady Rosamund nicht behaupten konnte.
Bei dem Gedanken konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ja, die Weibsbilder ließen sich einiges einfallen, wenn es um ihr Äußeres ging. Keine Frage, diese Longspey-Erbin war durchaus eine Augenweide, doch genau damit kaschierte sie nur ihre Unbeugsamkeit. Sie war stur genug gewesen, bei strömendem Regen draußen zu kampieren. Vor dieser störrischen Markgrafentochter musste man sich in Acht nehmen.
Brummend schüttelte Gervase das verheißungsvolle Bild von Rosamund de Longspey ab, tätschelte Bryn die Ohren, womit er das Tier in einen Zustand der Seligkeit versetzte, und nahm einen letzten Schluck von dem Ale. Seit wann, so fragte er sich stumm, verstehst du denn etwas von Frauen? Kein Zweifel, sie brachte sein Blut in Wallung. Das Prickeln in der Magengegend, das zunehmende Pochen in den Lenden – all das war unmissverständlich und unter den gegebenen Umständen eigentlich keine wünschenswerte Reaktion. Am liebsten hätte er der Lady das feine Gewand abgestreift und mit seinen Lippen und Händen jede Rundung ihres Körpers erforscht, um sie schließlich endgültig in Besitz zu nehmen.
Sapperlot!
Wieso schaffte er sich das Weib nicht endlich vom Halse? Warum packte er diese Lady nicht auf einen Gaul und eskortierte sie höchstpersönlich zur Burg hinaus, gleich, ob sie sich wehrte oder nicht?
Weil du ihr dein Wort gegeben hast!, rief er sich in Erinnerung. Kein kluger Schachzug, musste er sich eingestehen, aber er hatte ihr nun einmal versprochen, sie dürfe bleiben, und zwar nach eigenem Gutdünken und solange sie wolle. Als Mann mit Prinzipien, als Ehrenmann zumal, konnte er das schwerlich rückgängig machen. Sich nicht an ein Versprechen zu halten, und sei es auch gegenüber einem selbstgerechten Gegner, das ging ihm wider den Strich. Möglich, dass sie ihm jede Missetat zutraute, aber so ruchlos, um einen aus freien Stücken geleisteten Eid zu
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