Die Liebeslist
brechen, war er nun doch nicht.
Obwohl der kleinen Longspey sein tadelloses Verhalten in dieser Hinsicht wohl nicht einmal auffallen würde, stellte er wieder lächelnd und mit sich selbst zufrieden fest. Alle Anzeichen von Ehrenhaftigkeit würde er auch weiterhin sorgfältig tarnen. Schließlich hätte er sich ja um ein Haar für die Blessuren an ihrem Handgelenk entschuldigt! Er musste sich zusammennehmen, damit ihm so etwas nicht noch mal passierte. Wie hatte er nur so nachlässig sein können? Keinesfalls durfte sie auch nur eine Spur von Anstand und Benehmen an ihm entdecken.
Also, eine Woche gab er ihr noch auf Clifford. Allerhöchstens zwei. Spätestens dann, so seine Vermutung, würde sie vor Wind und Regen die Waffen strecken. Alles in allem konnte er zuversichtlich sein. Sie verabscheute ihn, und für seine mangelhaften Manieren hatte sie nur Verachtung übrig. So sollte es sein! Jetzt konnte es losgehen. Sein Schwert war sozusagen gezückt. Allmählich war es an der Zeit, härtere Bandagen anzulegen und diese Longspey endgültig aus der Burg zu vergraulen.
Am folgenden Morgen ließ das Regenwetter vorübergehend nach. Ohne zu ahnen, dass er beobachtet wurde, setzte Fitz Osbern aus dem Stand eine Gefechtsübung an, bei der seine Männer im Burghof gegeneinander antreten mussten, ausgerüstet mit Schwert und Schild. Seit der Rückkehr von Anjou hatten sie ihre soldatischen Tugenden zwar nicht mehr unter Beweis stellen müssen, doch man durfte nicht zulassen, dass ihnen durch ständiges Nichtstun ebendiese Fähigkeiten verloren gingen und sie bequem und unbeweglich wurden. Angelockt durch den Gefechtslärm, trat Rosamund daher ans Fenster der Kemenate und schaute, auf der Fensterbank kniend, hinunter in den Innenhof. Stirnrunzelnd verfolgte sie das Getümmel, und ihre Verwirrung wurde noch größer, als sie dabei mittendrin den Burgherrn entdeckte. Zwar hätte sie weit von sich gewiesen, dass sie ihn mit höchster Aufmerksamkeit bei diesem mannhaften Tun betrachtete, aber eins musste sie sich doch eingestehen: Wie er mit dem Schwert ausholte und eine heftige Attacke gegen seinen Wachtmeister simulierte, dabei machte er wahrlich eine gute Figur. Mit großen Augen und anerkennendem Blick verfolgte sie, wie er einen Stoß antäuschte, dann um die eigene Achse wirbelte und die schwere Klinge mit solcher Wucht gegen Watkins Schild rammte, dass er den Gegner mit einem Schlag entwaffnete. Und alles mit einzigartiger Eleganz, Muskelkraft und Gewandtheit. Ungläubig bestaunte sie das Spiel der Muskeln an Schultern und Oberschenkeln, als er den Gegenangriff des Unterführers parierte. Der biegsame, schlanke Körper, als er den liegenden Watkins beim Arm packte und ihm grinsend wieder auf die Beine half – all das zog sie regelrecht in seinen Bann. Dann folgte ein Scherz, den sie nicht verstand, und die ganze Truppe bog sich vor Lachen.
Nachfolgend richtete Fitz Osbern sein Augenmerk auf den Knaben, der ihm als Knappe diente. Der Junge hieß Owen, ein schmächtiges Bürschchen, eher ein Knirps, der vermutlich noch unter Heimweh litt, im Umgang mit Waffen ganz sicher ungeübt. Wie er so dastand mit Schild und Schwert, wirkte er wie ein Zwerg. Gespannt beugte Rosamund sich vor. Geduldig und ermutigend demonstrierte der Ältere, wie man den Schild halten musste, um nicht von einem blutrünstigen Gegner aufgespießt zu werden, wie man mit dem Schwert täuschte und parierte. Dann stellte der Ritter sich breitbeinig vor den Jungen hin und forderte den Burschen auf, ihn anzugreifen. Bei den Versuchen des Knappen konnte sich Rosamund das Lachen nicht verkneifen. Es bot sich ihm nicht die kleinste Gelegenheit, überhaupt bis zum Schild durchzukommen – bis Fitz Osbern seine Waffe absichtlich sinken ließ und Owen somit gestattete, einen einigermaßen genauen Hieb gegen die Deckung zu führen und den Schild knapp oberhalb des Herzens zu treffen. Fitz Osbern taumelte und ging theatralisch stöhnend in die Knie.
„Erwischt!“, krähte der Knirps jubelnd. „Volltreffer!“
„Von wegen!“ Fitz Osbern richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. „So schnell geht das nicht. Aber für den Anfang nicht schlecht, Junge. Hast ein ganz gutes Auge!“ Er zauste Owens Mähne. „Auf, noch einen Versuch, und diesmal sicherst du deine linke Flanke ab! Ich hätte dir ein paar Mal die Klinge durch den Bauch rammen können. Was hätte deine Frau Mutter wohl dazu gesagt?“
Strahlend hob das Bürschchen das schwere Schwert wieder
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