Die Liebeslist
bei ihm gemacht. Allmählich regte sich so etwas wie Enttäuschung in ihr. Bedrückt fuhr sie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und wünschte sich, er wäre so unverschämt gewesen, seine Aufdringlichkeit noch einmal zu wiederholen. Zornig mit dem Fuß aufstampfend, schlug sie sich hilflos mit ihren widerstreitenden Gefühlen herum.
Sie konnte es zwar nicht ahnen, aber in gleicher Weise wünschte auch Gervase, er hätte seine Drohung wahr gemacht und Rosamund noch einmal geküsst. Stattdessen blickte er ihr nur hinterher, wie sie wutentbrannt mit fliegenden Röcken und wippendem rotgoldenen Zopf über den Burghof stürmte. Gleichzeitig hätte er sich ohrfeigen mögen, dass er sich überhaupt hatte hinreißen lassen. Jene weichen kirschroten, vor Empörung halb geöffneten Lippen, sie hatten ihn zu etwas verleitet, dass sich unweigerlich als Fehler herausstellen würde.
Es hatte sie also noch keiner so geküsst? Ja, wer auch? Höchstens ein heimlicher, von der Familie abgelehnter Verehrer. Oder ein Heiratskandidat, der letzten Endes mit seinem Werben gescheitert war. Sie war eben keine Schankmagd, die sich von jedem hergelaufenen Kerl anfassen und ins Bett locken ließ. Somit war er der Erste, der sie auf die Lippen geküsst hatte, oder? Außerdem war sie noch Jungfrau. Keiner hatte bisher ihren Busen berührt – nur er allein, und das auch nur durch die Schutzschicht ihrer Gewänder. Kein Mann hatte bisher erfahren, wie sich ihre schlanken Gliedmaßen nackt und hüllenlos anfühlten. Ein brennendes Begehren regte sich in seinen Lenden. Er würde sie bestimmt verführen können! Vorausgesetzt, er kümmerte sich einen Dreck um seine Ehre. Das hieß allerdings, dem edlen Namen derer zu Fitz Osbern Schande zu machen.
Aber falls er es drauf anlegte, würde sie sich wohl wehren? Dass sie seinen Kuss so innig erwidert, ihn mit ihren weichen Lippen geradezu eingeladen hatte, war für ihn selbst völlig überraschend gewesen.
Verärgert drosch er mit der Hand gegen den hölzernen Türpfosten der Käserei, in der er immer noch stand und aus der Rosamund eben so aufgewühlt verschwunden war. Nein, ausgeschlossen, das durfte er nicht. Im Übrigen fand er sowieso nichts an ihr.
Andererseits: Ganz unzufrieden war er nicht. Er hatte sie aus der Reserve gelockt und dabei rein zufällig eine Entdeckung gemacht: Ihr prächtiger Zopf war tatsächlich echt. Keine Haarteile, sondern unter seinen Fingern weich wie die Seide, die er eigentlich vermutet hatte. Man konnte sich unschwer vorstellen, wie das Haar im entflochtenen Zustand aussah, wenn es ihr schimmernd über die nackte Schulter fiel. Ach, Unfug!, schalt er sich, verließ nun ebenfalls die Käserei und stiefelte missmutig über den Burghof, um die als morsch gemeldeten Palisaden zu begutachten. Immerhin: In seiner Hand hatte der Zopf sich angefühlt wie ein lebendiges Wesen. Gefallen hatte ihm beides, sowohl der Kuss als auch das seidige Gefühl.
Das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass er Rosamund de Longspey in seiner Burg dulden musste.
„So geht das nicht weiter, Lady!“
„Was meint Ihr denn damit, Mylord?“, rief Rosamund mit bestürzt geweiteten Augen. „Ist etwas vorgefallen? Stört Euch etwas?“
„Stört, wie Ihr das nennt, ist gar kein Ausdruck.“ Finster blickte Fitz Osbern sie an, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Und Ihr wisst sehr gut, was ich damit meine!“
Rosamund nahm all ihren Mut zusammen. Dass er sie eines Tages zur Rede stellen würde, das hatte sie immer geahnt, doch nun galt es, sich nicht unterkriegen zu lassen. Grimmig stand Gervase ihr gegenüber – hochgewachsen, bedrohlich, vor sich die Ehrentafel auf dem Podest als willkommene Deckung. Die Luft im leeren Burgsaal knisterte gleichsam vor Spannung. Fitz Osbern wartete, neben sich den lauernden, wachsamen Windhund.
Rosamund machte sich auf einiges gefasst. „Ich weiß, Mylord, dass es in letzter Zeit die eine oder andere Schwierigkeit gab …“
„Schwierigkeit? Aus meiner Sicht wird hier mit Absicht versucht, Ärger zu stiften.“
„Ach, das kann doch gar nicht sein!“ Sie schüttelte den Kopf, die Unschuld in Person. „Dazu hat das Gesinde viel zu viel Respekt vor Euch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Master Pennard oder Sir Thomas jemals Eure Stellung hier untergraben würden.“
„Ich auch nicht. Höchstens wenn man sie dazu anhält.“
Beider Blicke begegneten sich – Gervases Augen in der Dunkelheit funkelnd vor Zorn, Rosamunds hingegen
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