Die Liebeslist
ließ es zu, dass er ihr den Umhang um die Schultern legte und den pelzbesetzten Kragen mit einer Fibel schloss. So ein kräftiger Mann und solch geschickte, wendige Finger! Sie musste sich daran gewöhnen, ihn beim Vornamen anzureden. Dass ihr plötzlich ein wenig warm wurde, lag nicht etwa an der Wintersonne. Wie angenehm, einmal mit einem Mann zu sprechen, der ebenso dachte und fühlte wie sie. Der einem die Hand küsste, weil er es wünschte, nicht weil es die Form und die Achtung geboten. Der spürte, was sie beschäftigte, und ihr jeden Wunsch von den Augen ablas.
Allmählich verlief das Leben auf Clifford Castle in zunehmend geordneten Bahnen. Um die Ereignisse der letzten Zeit aus dem Kopf zu verdrängen, nahm Rosamund sich den bisher vernachlässigten Ostturm vor. Master Pennard musste wohl oder übel mitmachen. Das Mauerwerk war insgesamt intakt, und somit brauchte man die vollkommen unmöblierten Räumlichkeiten im Grunde nur ordentlich zu reinigen. Gründlich gefegt und gescheuert, war der Turm durchaus wohnlich zu machen. Im Gehen Anweisungen erteilend, war Rosamund gerade auf dem Weg zum Burgsaal, da ertönte von der anderen Hofseite her plötzlicher Lärm. Zwar hatte sie gehört, wie das Tor geöffnete wurde, doch das Getöse traf sie unerwartet.
„Was ist denn das?“
„Bruchstein, Mylady“, erklärte ihr Verwalter. „Als Ersatz für die Palisaden. Lord Fitz Osbern hat nach ihnen verlangt.“ Die Liste in der Hand, machte der Burgvogt sich davon, ehe Rosamund noch etwas hinzufügen konnte.
Eine Schriftrolle unter dem Arm, stellte sie sich auf die Außentreppe und schaute sich das Spektakel an. Eine Lieferung war eingetroffen, eine ganze Fuhrwerkskolonne mit Bruchsteinen, welche die Außenbefestigung verstärken sollten. Die Burgbesatzung entlud soeben die letzte Fuhre – gewaltige Blöcke, die mit Hilfe von Tauen, Seilwinden und Holzpflöcken bewegt wurden. Vermutlich hätte sich Rosamund zurückgezogen und die Steinschlepper ihrem Gebrüll überlassen, dem Gelächter, den Flüchen und anzüglichen Scherzen, wenn dem einen oder anderen mal ein Stein entglitt, der Finger oder Zehen quetschte. Dass es unter Männern meist ziemlich derb zuging, war ihr nicht neu.
Aber sie blieb, wie hingerissen von dem emsigen Treiben und angelockt vom Sonnenschein, ungeachtet des kalten Nordwinds mit seinen ständigen Schneegestöbern. Die Karren waren entladen, die Fuhrwerke rückten ab, begünstigt durch die hart gefrorenen Straßen. Während Krüge mit Ale aus der Speisekammer herbeigebracht wurden, streiften die Männer ihre Kleidung ab und gossen sich unter lautem Gejohle und Gekreisch gegenseitig eiskaltes Brunnenwasser über die bloßen Oberkörper, um sich den Staub und Dreck von der Haut zu spülen.
Rosamund trat einen Schritt vor und spähte mit Adleraugen hinüber. Es waren nämlich nicht nur die Burgwehrmänner, die sich da vergnügten. Als ob sie es geahnt hätte! Wohin sie auch blickte – immer war er dabei, als reiche es ihm nicht, als Burgherr die Befehle zu erteilen. Auch diesmal hatte er Hand mit angelegt beim Abladen der Steine, und gerade zog er sich mit einer einzigen fließenden Bewegung die Tunika über den Kopf. Da stand er nun mitten in seinem Burghof, Gervase Fitz Osbern, nackt bis auf die Beinkleider und die Stiefel!
Welch ein Bild von einem Mann! Das war das Erste, das Rosamund in den Sinn kam. Nun, sie hatte es ohnehin geahnt, trotz der dicken Winterbekleidung, die er sonst zum Schutz gegen die allgegenwärtige Kälte trug. Anders als beim nicht ernst gemeinten Zweikampf mit dem jungen Owen brauchte sie ihre Fantasie nicht zu bemühen. Das Spiel der straffen Rücken- und Schultermuskeln, die vom Leben im Freien sonnengebräunte Haut, an der die Wassertropfen glitzernd herunterrannen bis in den Hosenbund – all das konnte sie in seiner ganzen Pracht von der Außentreppe aus betrachten. Rosamund konnte sich gar nicht sattsehen an seiner schönen Gestalt. Die schlanke, in schmale Hüften übergehende Taille, die langen, kräftigen Beine … Der Mund wurde ihr trocken, ihre Handflächen dagegen wurden feucht, denn welche Frau hätte nicht gern die muskulösen Arme befühlt, hätte nicht gern die Finger durch das dunkle Haar, das sich dreiecksförmig über der Brust und in einer feinen Linie über den Bauch zu den Lenden erstreckte, gleiten lassen? Ach, wie gern hätte sie ihm das Wasser vom Brustkorb und dem flachen Bauch gewischt, die Hand dorthin gelegt, wo sein Herz klopfte, um
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