Die Liebeslotterie
fuhr mit den Fingerspitzen über die goldene Schrift auf dem Umschlag. «Homer.» Es klang beinahe wie eine Frage.
«Du sagtest, du hättest es gern für dein Haus in Dalmatien. Wenn du in der Lotterie gewonnen hast.»
«Tibo, ich bin keine große Leserin.»
«Das macht nichts – du müsstest es gar nicht selbst lesen, erinnerst du dich? Du liegst in einem lauen Bad und trinkst Rotwein, während ich dich mit Oliven füttere.»
Agathe lächelte und hob sich das Buch an die Nase, um seinen Duft einzuatmen. «Riecht wie der Strand – der Strand an einem sonnigen Tag. Vielen Dank. Es ist wunderschön. Ich werde es sorgsam aufbewahren, bis du mir daraus vorlesen willst.»
«Jetzt wäre ein guter Moment», sagte Tibo.
«Nein, nicht jetzt – unsere Nudeln sind unterwegs. Aber ich muss dir etwas zeigen.»
«Ich bekomme ein Geschenk!», sagte Tibo erwartungsvoll.
«Nein, leider nicht. Ich habe nichts gekauft. Aber wenn du möchtest, kannst du etwas mit mir teilen.» Agathe ließ ihre Handtasche aufschnappen und holte ein Notizbuch heraus. Es war ausgebeult, und die Seiten spreizten sich, so als läge hinter jeder einzelnen ein dickes Lesezeichen. «Schau», sagte sie, «das ist mein Haus an der dalmatischen Küste. Ich trage es ständig bei mir. Dort kannst du mir Homer vorlesen.»
Agathe blätterte in den Seiten und zeigte ihm Bilder, die sie aus Zeitschriften ausgerissen und gesammelt hatte. «Sieh mal, ich möchte große Blumenkübel mit Lavendel und Rosmarin wie diese hier, die neben der Eingangstür stehen, und aus den Steinritzen wuchert Thymian.»
Tibo dachte an den Kohlenstaub im Kopfsteinpflaster, an die Straße in den Docks, an die Huren und die Gestalten in den dunklen Ecken.
Agathe sagte: «Schon als kleines Mädchen habe ich Bilder gesammelt und auf dem Schulhof mit meinen Freundinnen getauscht. Man konnte sie am Kiosk kaufen. Am besten haben mir die mit den kleinen, dicken Engeln gefallen, die sich auf Wolken aufstützen und sauertöpfisch dreinschauen – wie Herr Guillaume.»
Tibo öffnete das Büchlein und zeigte hinein. «Erzähl mir davon», sagte er, aber im selben Moment erschien ein Kellner und stellte zwei riesige Nudelteller vor ihnen ab.
«Penne picante», verkündete er, schwenkte Pfeffermühle und Parmesanreibe und verschwand wieder.
«So soll der Kamin aussehen», erklärte Agathe, «riesengroß und im Winter ohne Zugluft. Wenn ich nach Dalmatien gezogen bin, werde ich nie wieder frieren.»
«Das würde ich sowieso nicht zulassen», sagte Tibo.
Agathe fing beinahe zu schnurren an. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und sagte mit einem schelmischen Lächeln: «Das glaube ich dir.» Plötzlich fühlte Tibo sich dumm und unsicher, weil sie ihn an Schamlosigkeit übertroffen hatte. Er hatte sich verrucht und gefährlich und weltmännisch geben wollen, aber sie hatte ihn nach wenigen Worten durchschaut.
Tibo starrte auf seinen Teller. «Iss», sagte er und nach einer Weile: «Schmeckt sehr gut, oder?»
«Ja, das Essen hier schmeckt immer sehr gut, aber ich bekäme das genau so hin.»
«Du kochst gern?»
«Und gut! Nicht, dass es irgendjemandem auffallen würde.» Sie stocherte in den Nudeln herum.
«Erzähl mir, was du am liebsten kochst.»
Agathe lächelte begeistert. «Das Kochen hat mir meine Großmutter beigebracht», sagte sie. «Ich bereite richtiges Männeressen zu.»
Tibo stöhnte innerlich auf. Ja, allerdings, dachte er. Du würdest das perfekte Männeressen bereiten. Du bist Männeressen. Aber inzwischen wusste er genug, um zu schweigen und lediglich zustimmend zu nicken.
«Männer lieben Fleisch, in das sie ihre Zähne schlagen können.»
Tibo unterdrückte ein Jaulen.
«Lachst du mich aus?», fragte Agathe. «Essen ist kein Spaß. Mit Essen zeigt man einem anderen Menschen, wie sehr man ihn liebt. Na ja» – sie schaute auf ihren Teller –, «unter anderem. Man muss die richtigen Zutaten finden und ein schönes Stück Fleisch, man muss es richtig zubereiten und an einem hübsch gedeckten Tisch servieren. Ist doch schön, so etwasfür einen anderen zu tun. Es ist ein Ausdruck von Zuwendung. Es ist nett.»
Tibo wusste, dass man nicht zuschlagen, nicht schreien muss, um jemanden zu demütigen und zu quälen. Es reicht, dem anderen jede Gelegenheit zum Nettsein zu verwehren. Er legte seine Hand auf Agathes. «Was würdest du für mich kochen?»
Agathe überlegte kurz und sagte: «Für dich würde ich Fischsuppe kochen … nein, Rinderbrühe.
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