Die Liebeslotterie
Rinderbrühe und dann meinen berühmten Hasen in Senfsauce und als Nachtisch einen großen, sahnigen Reispudding mit viel Muskat und saftigen, dicken Rosinen.»
«Ich würde selbst zu einer dicken Rosine werden.»
Nicht, wenn es nach mir ginge, dachte Agathe. Ich würde dich auf Trab halten. Ich würde dir ein Fitnessprogramm verordnen, Tibo Krovic, du süßer, süßer Mann. Aber sie sagte nur: «Tja, du könntest ein paar zusätzliche Kilos vertragen. Du hast noch einen langen Weg vor dir, bis du aussiehst wie Herr Guillaume.»
«Einen ziemlich langen Weg», sagte Tibo, «und auf den Nachtisch kann ich heute gut verzichten. Vermutlich serviert uns Mamma Cesare größere Portionen, damit wir merken, dass wir ihre Lieblingsgäste sind. Aber bestell gern noch etwas.»
«Nein, danke», sagte Agathe. «Ich kann uns im Büro einen Kaffee kochen.»
Mamma Cesare trat hinter der funkelnden Kaffeeorgel hervor, als Tibo zum Zahlen an den Tresen ging. Sie lächelte und nickte eifrig und versicherte mehrfach, wie schön es sei, die beiden zusammen zu sehen, wie nett es von ihnen sei, herzukommen, und wie hüsch sie aussähen. «Alles sehr schön. Immersehr, sehr schön!» Sie machte Agathe verstohlen ein Zeichen, und Agathe beugte sich zu ihr hinunter, während Tibo höflich und außer Hörweite an der Tür wartete. «Komm mich bald besuchen», sagte sie. «Komm heute Abend.»
«Heute Abend kann ich nicht», sagte Agathe, was gelogen war. Sie hätte problemlos kommen können. Immerhin hielt sie zu Hause nichts. Trotzdem war da etwas an Mamma Cesares hartnäckiger Art, das Agathe zögern ließ, das sie rebellisch machte.
«Dann komm bald», sagte Mamma Cesare, «bitte, komm bald.»
Daraufhin fühlte Agathe sich traurig und beschämt. «Ja, das mache ich. Sehr bald», sagte sie.
Arm in Arm liefen Tibo und Agathe durch die Schlossstraße, vorbei an den unzähligen Passanten und den Büroangestellten, die nach einem Brötchen am Ufer des Ampersand oder einer Pastete im Rathauskeller zurück an die Arbeit schlurften.
«Ich hoffe, das Buch gefällt dir», sagte Tibo.
«Ich liebe mein Buch.»
Da war das Wort. Es übertönte den Verkehrslärm wie das helle Klimpern von Münzen, die aus einer Tasche fallen, oder wie Babygeschrei. Es war nur ein Wort, ausgesprochen auf einer belebten Straße, aber es hätte mehr verdient als «mein Buch». Es hätte weniger verdient. Nur ein Wort, nicht zwei. «Ich liebe mein Buch», wiederholte Agathe, weil ihr nichts Besseres einfiel, um das tosende Wort zu bändigen.
«Ich liebe dein Buch auch.»
Agathe sah Tibo verwundert an, sie wartete auf mehr.
«Du weißt schon», sagte er, «dein Buch – das mit dem Häuschen.»
«Oh», sagte sie.
«Ich finde es wunderhübsch. Dein Buch.»
«Ja, ich mag es auch.» Plötzlich klang sie enttäuscht. «Ich kann es mit mir herumtragen, und die Lotterielose liegen darin. Manchmal nehme ich sie heraus, um sie anzusehen. Meine Hände an ihnen zu wärmen. Ein kleines Fünkchen Hoffnung, das ich in meiner Handtasche aufbewahre.»
Falls Tibo die Traurigkeit ihrer Worte bemerkt hatte, ließ er sich nichts anmerken. Er sagte: «Du hast mir angeboten, daran teilzuhaben. Ich würde gern, wenn ich darf. Ich würde gern Sachen sammeln, die dir gefallen und die zu deinem Haus passen – bis du in der Lotterie gewonnen hast und das echte Haus ansteht. Wenn es dir recht ist.»
«Ja, das wäre mir recht», sagte Agathe, und damit waren sie wieder auf dem Rathausplatz angekommen.
DAS LEBEN DANACH bestand aus einer Abfolge von Mittagessen. Den ganzen Vormittag freuten sie sich auf die Mittagspause, und den ganzen Nachmittag lachten sie über Sachen, die sie am Mittagstisch gesagt hatten. Sie gingen essen, lachten und redeten über alles. Sie redeten über Bücher, denn auf dem Gebiet war Tibo ein Experte. Er hatte alles gelesen, und er teilte sein Wissen mit Agathe. Sie redeten über das Essen, und auf dem Gebiet war Agathe eine Expertin. Was immer sie im Goldenen Engel zu Mittag aßen, Agathe hätte es zu Hause noch besser gekocht. Bald benutzte sie ihre blaue Emailledose nur noch dazu, Tibo Köstlichkeiten mitzubringen, die er sich daheim aufwärmen konnte. Die Zeiten von Hering mit Pellkartoffeln waren vorbei. Sie redeten über das Leben, über Trauer und Einsamkeit, und jeder attestierte dem anderen, ein Experte auf diesem Gebiet zu sein. Dabei unterschied sich ihr Expertenwissen durchaus. Tibo kannte die Einsamkeit des Alleinseins, Agathe die Einsamkeit
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